Wie jedes Jahr konnte das Southside Festival bei Tuttlingen, nahe der Schweizer Grenze, zufrieden «Ausverkauf» vermelden. 65’000 Menschen feiern über drei Tage nicht nur den 20. Geburtstag des Festivals, sondern auch die Musik und sich selbst.
Festivalzeit ist doch die schönste Zeit des Jahres! An den drei Festivaltagen des diesjährigen Southsides gelang es mir, über 30 Bands zu begutachtet. Diese alle aufzuzählen und mit einem kurzen Kommentar abzuspeisen, kommt einer ellenlangen, nichtssagenden Liste gleich, die ich euch ersparen will. Stattdessen erzähle ich euch lieber von meinen persönlichen Highlights.
Neu entdeckt
Obwohl ich extrem «fleissig» von Konzert zu Konzert getigert bin, war das diesjährige Southside für mich dennoch nicht zwingend ein Quell unentdeckter Neuheiten. Nur rund ein Drittel der Bands die ich mir ansah, hatte ich zuvor noch nie live gesehen. Wovon mir etwa die Hälfte komplett unbekannt war und auf gut Glück abgecheckt wurden. Hier drei Kandidaten die sofort auf meiner Watch-List gelandet sind:
Kolari
Am zweiten Festivaltag, Punkt 12 Uhr mittags, allererste Band auf der Hauptbühne. Diese etwas zweifelhafte Ehre wurde Kolari zuteil. Ein Quintett aus Hamburg, welches «Post-Hardcore für Dinge-gut-Finder, Metal für Schnapsideen und Indie für wütende Kapitäne» oder kurzum «Songs to punch your enemies to» spielt.
Aha, soweit also die Eckdaten. Die Band bretterte auch direkt so los, wie man sich das bei einem Post-Hardcore-Konzert wünscht. Messerscharfe Riffs in Breakdowns im Wechsel mit Melodien, die fast schon harmonisch anmuteten. Was aber vor allem Eindruck machte, war die herzliche Freude der Band, über die eigentlich überschaubare Menge an Festivalbesuchern, die sich schon früh auf dem Gelände versammelt hatte, um Kolari zu sehen. Besonders der energetische Vokalist Stefan dankte es ihnen, indem er grosse Teile der Show im Publikum performte, mitunter Moshpits startete und sogar ein kleines Crowd-Surfing veranstaltete. Eine Band, die bereits vor dem Katerfrühstück abgeht wie Lutzi.
George Ezra

Klar, George Ezra hat den Newcomer-Status eigentlich schon lange abgelegt und füllte dementsprechend auch den Platz vor der Bühne bei seinem Auftritt am frühen Samstagabend. Aber es war das erste Mal, dass ich den englischen Singer-Songwriter live erlebte und auch endlich realisierte, wie erstklassig der 25-Jährige effektiv performt.
Gesegnet mit einer Stimme die runtergeht wie Öl, spielte er sich mit seiner Liveband quer durch seine beiden Alben und, sind wir mal ehrlich, die sind ja wirklich gespickt mit Hits. Mit Cassy O’ als Opener über Blame It On Me zu den aktuellen Radiohits Paradise und Shotgun bis hin zum finalen Budapest – alle trug er sie vor und erklärte zwischen den Songs auch mal, wie er sie geschrieben hat oder was sie ihm bedeuten. Ein Auftritt der mich unglaublich angefixt hat und noch lange in guter Erinnerung bleiben wird.
Parcels
Sonntagnachmittag im weissen Zelt war the place to be für alle, die auf funky Discosound stehen. Denn dieser wird von der australischen Band Parcels nicht nur wiedergegeben, sondern regelrecht dem Publikum einverleibt.

Sowohl vor, als auch auf der Bühne wurde wild zu diesem late 70ies-Disco-Revival getanzt. Groovy Basslines gepaart mit heissen Rhythmen, verspielte Melodien, viele Tempowechsel und das alles derart ineinander verschmolzen, dass man sich wünschte, die Songs würden nie aufhören und die Band hätte ein bisschen mehr Spielzeit bekommen als nur diese Dreiviertelstunde.
Wieder entdeckt
Das Witzige an grossen Festivals ist, dass immer einige Namen im Line-Up stehen, die man zwar kennt, wegen denen man jedoch nicht das Ticket gekauft hat. Bei einer so grossen Namensdichte wie beim Southside waren dies dieses Jahr nicht gerade wenige bei mir. So stellte ich zum Beispiel auch überrascht fest, dass The Kooks ja sogar auftraten, während die Band in den letzten Jahren komplett an mir vorbei ging. Hier drei weitere Highlights aus dieser Kategorie:
Coasts
Wieder entdeckt oder doch eher endlich für mich entdeckt? Nachdem ich Coasts vor zwei Jahren auf dem Zürich Openair und Anfang des Jahres als Vorband von The Hunna gesehen hatte, und beide Male mich nicht recht packen konnten, wollte ich der Band aus England eine letzte Chance geben.

Mit einem pathetischen Intro zu Circle Of Life aus The Lion King begann das Konzert mit sehr hohem Cringe-Faktor. Doch schlagartig änderte sich meine Meinung, als die Band zu spielen anfing und das Zelt sich jäh in eine Tanzfläche für Feierwütige verwandelte. Auch das Quintett auf der Bühne zeigte sich gut gelaunt und spielfreudig. Ihre eingängigen Melodien und die sommerlich leichten Riffs luden zum Tanzen und Umherspringen ein, wodurch ihr Set wie im Flug vorbeirauschte. Die verdienten Zugabe-Rufe aus dem Publikum blieben danach leider unerfüllt, hatten Coasts ihre 45-minütige Spielzeit bereits in vollen Zügen ausgeschöpft.
Madsen
Lustigerweise hatte ich Madsen 2012 tatsächlich das letzte Mal auf dem Southside live gesehen. Und dann verpasste ich die letzten beiden Alben irgendwie komplett, weshalb ich die Norddeutschen überhaupt nicht mehr auf meinem Schirm hatte. Umso überraschter war ich, zu sehen, wie gross die Publikumsanziehungskraft dieser Band noch immer ist.

Den Beginn ihres Auftritts noch in weiter Ferne beobachtend, packte mich plötzlich das Verlangen, ganz vorne mittun zu wollen, fremde Leute vor der Bühne umherzuschieben und mit ihnen im Takt zu all den neuen und alten Madsen-Songs zu hüpfen. Witzig, wie schnell man für eine Band wieder Feuer und Flamme sein kann, ohne auch nur damit gerechnet zu haben. Aber hier stand ich und sang mir zu Dauerbrennern wie Die Perfektion, Du schreibst Geschichte und Nachtbaden die Seele aus dem Leib. Absolutes Festival-Highlight!
Bonaparte
«Do you want to party with the Bonaparte?» – Aber sicher, immer doch! Ganz schön still wurde es in den letzten Monaten um das Arty-Party-Kollektiv des Berners Tobias Jundt. Oder vielleicht kommt mir das auch nur so vor, weil ich selber die Band schon ewig nicht mehr live gesehen hatte und sie zuletzt auch am anderen Ende der Welt auf Tour und mit Aufnahmen beschäftigt war.

Aber ein Bonaparte-Konzert ist ein bisschen wie Fahrradfahren: Auch wenn man es schon länger nicht mehr getan hat, man kommt schnell wieder in den richtigen Groove. Nach kurzer Recherche zwar rausgefunden, dass die Band schon länger in der aktuellen Formation unterwegs ist, war es für mich dennoch neu, dass Bonaparte nun mit zwei Schlagzeugern und drei Blasmusikern auftreten. Aber der ausgelassenen Stimmung vor und auf der Bühne tat dies keinen Abbruch. Bier- und Champagnerduschen, Parolen skandieren, Crowdsurfing – das gewohnte Bonaparte-Universum.
Weitere Highlights
Meine persönlichen Highlights – nebst allen bisher erwähnten Acts – waren natürlich jene, welche mich zum Festivalbesuch verlockt hatten.

Franz Ferdinand, die noch mit selber Show wie im Frühling unterwegs sind, einfach auf eine Stunde Spielzeit runtergebrochen, taten dies freilich sehr gekonnt. Auch wenn die vielen wartenden Kraftklub-Fans ganz weit vorne nicht gerade zur Stimmung beitrugen.
Das lächerlich kurze 45-Minuten-Set von Johnossi war dafür eine einzige Anreihung von Hit an Hit, was die Stimmung im Zelt an den Siedepunkt brachte.
Die Donots waren am Samstagnachmittag schon auf Abriss programmiert und ihre Fans standen ihnen dabei in nichts nach. Viele kleine und grosse Circle-Pits soweit das Auge reichte bzw. so viele die Kameras für die Leinwände einfangen konnten.
Bevor sie im Herbst dann auf Unplugged-Tour gehen, heizten am letzten Festivaltag Biffy Clyro schon mal die Hauptbühne für The Prodigy auf; sowohl metaphorisch als auch wortwörtlich mit Flammensäulen und Feuerwerksregen.
Apropos Headliner
Ich bin mir nicht so sicher, ob der Doppel-Headliner-Slot am Freitag mit den Arctic Monkeys und Arcade Fire eine so gute Idee war. Ab etwa der Hälfte des Auftritts der Arctic Monkeys machte sich eine grosse Abwanderung des Publikums bemerkbar. Einerseits diejenigen, die einen guten Platz bei Arcade Fire vor der anderen Bühne reservieren wollten, aber überraschenderweise auch viele, die direkt nach I Bet You Look Good On The Dancefloor bereits wieder zum Zeltplatz zurückkehrten. So waren dann bei Arcade Fire auch nicht so übermässig viele Leute und auch hier blieben viele nicht bis ganz zum Schluss. Auch wenn mir persönlich die Musik der Monkeys eher gefällt, muss ich sagen, hatten Arcade Fire wenigstens ein visuelles Konzept, während es bei den Arctic Monkeys nicht viel mehr als schummriges, rotes Licht zum Gucken gab.
Jedem das Festival, wie er es will.
Der Samstag gehörte dann eher den Headlinern. Oder vielleicht doch dem Fussball? Obwohl schon sehr viele Leute tagsüber im Billy-Talent-Shirt umherliefen, war das weisse mit dem Adler auf der Brust noch weiter verbreitet. Deutschlands Last-Minute-Sieg gegen Schweden wurde folglich nicht nur auf dem Zeltplatz beim Public Viewing gefeiert, sondern auf dem ganzen Festivalgelände war die ausgelassene Stimmung zu spüren. Und nachdem bereits bei Billy Talent bis weit nach hinten zufrieden mitgesungen und geklatscht wurde, ging man direkt weiter zu Marteria, der an diesem Wochenende wohl wirklich am allermeisten Publikum vor die Bühne locken konnte. Dass Hip-Hop am Southside ein Publikumsmagnet war, war dann auch vor allem am Sonntag, wo auf der Bluestage praktisch nur Deutschrap gespielt wurde, gut ersichtlich.
Und wie bereits angetönt, konnten alle, die dieses Wochenende noch nicht genug getanzt hatten, am Sonntagabend bei The Prodigy ihre Restenergie noch in Dancemoves verwandeln. Obwohl die Band gar kein neues Material am Start hatte (das letzte Album erschien vor über drei Jahren), sind Konzerte von The Prodigy natürlich ein Spektakel per se. Auch wenn ich mich jedes Mal frage, ob es Absicht ist, dass man Keith Flint fast gar nicht hört und MC Maxim Reality sich nicht daran nervt gefühlte 300-mal «Where are my fucking people?» 300-mal pro Abend zu fragen.
Mein Fazit fürs Southside 2018 fällt in allen Bereichen positiv aus. Was sich gegenüber früher stark verändert hat, sind die sehr vielfältig erweiterten Angebote an Campingplätzen, um jedem Besucher seiner Vorstellung von Festival gerecht zu werden. Dafür sind die strengeren Einlasskontrollen und Vorschriften, was überhaupt aufs Festivalgelände mit darf, eine anscheinend nötige Einschränkung, um das friedliche Zusammensein zu gewährleisten.