Am zweiten «Schwarzen Ball» dieses Jahres traten Spetsnaz, Rotersand und Camouflage auf. Zwei davon synchronisierten die Herzschläge der Besucher, eine liess sie höher schlagen.
Zweimal im Jahr ruft am Limmatplatz das X-Tra zum «Schwarzen Ball», einer Veranstaltung, die in der «Schwarzen Szene» bereits Tradition hat. Gleichzeitig ist es ein Treffen der unterschiedlichsten Strömungen der Gothic-Kultur, denn für jeden Geschmack hält der Ball das passende Programm parat – auch wenn vergangenen Samstag die Freunde von wummernden Beats leicht im Vorteil waren.
Früh, kurz nach 20 Uhr, legten Spetsnaz los. Vollmundig wurde das schwedische Duo im Vorfeld angekündigt: «Ohne Spetsnaz gäbe es die momentane Electronic-Body-Music-Szene nicht. Klingt gewaltig, ist aber so. Seit mehr als einer Dekade sorgen Pontus Stålberg und Stefan Nilsson bereits dafür, dass diese Richtung wieder so etwas wie eine Identität bekommen hat.» Tatsächlich spielten Spetsnaz astreinen EBM – nicht zu verwechseln mit EDM, dem unentschuldbaren Kind des Technos. Markerschütternde Beats und meist klarer Gesang, harte und stampfende Klänge – nicht mehr und nicht weniger boten Spetsnaz dem Publikum. Tanzbarer wird es nicht. Zweifellos pumpten mir die Musiker den Campari O, für den ich aberwitzige 14 Franken hinblätterte, gehörig durch die Blutbahnen.

Der unaufhaltsamer Wirbelwind
Von einem ganz anderen Schlag war die deutsche Synth-Pop-Band Camouflage. In den 80er-Jahren hatten sie mit The Great Commandment und Love Is A Shield zwei veritable Hits. Fortan wurden Camouflage gerne mit Depeche Mode verglichen oder gar verwechselt.
Die Band verstand es, das sonst vornehm zurückhaltende Gothic-Publikum ab der ersten Note in Hochstimmung zu versetzen. Sänger Markus Meyn tanzte ausgelassen über die Bühne wie ein unaufhaltsamer Wirbelwind. Die poppigen Melodien, gepaart mit sphärischen Synthie-Flächen und Meyn’s sehnsüchtiger Stimme ergänzten sich grossartig, sodass selbst die Songs vom neuen Album Greyscale mit Wohlwollen aufgenommen wurden.
Das Beste an Camouflages Auftritt waren nicht die Hits, sondern die spürbare Freude und Leidenschaft mit der die Musiker den Tour-Abschluss in Zürich bestritten.
Das dunkle Wunderland
Eine Gothic-Party ist vor allem ein visuelles Erlebnis. Der «Schwarze Ball» macht hier keine Ausnahme. Zwei schwere Kronleuchter wachen über dem Saal. Zwischen den rot erleuchteten Kirchenfenstern beobachten weisse Engel die Tanzfläche.
Das wahre Abenteuer sind aber die Menschen. Sie verwandeln den Raum in ein dunkles Wunderland. Weite, mit Spitze versetzten Röcke. Schwere Stiefel mit kunstvollen Schnallen. Verschnörkelte Ornamente um die Augen. Die Hüften von silbernen Kettchen umschlungen. Glänzendes, hautenges Lack. An der Seite baumelnde Gasmasken. Grobmaschige Netzstrümpfe. Tiefe Ausschnitte. Frisuren wie aus einer fremden Welt. Nackte Haut. Gruftis, Waver, EBM-Anhänger, SM-Fetischisten, Transsexuelle und Transvestiten mischen sich zu einer wunderbaren Melange. Das wirklich Faszinierende ist, dass diese ganze Szenerie nie vulgär erscheint.
Pöbeleien unter den meist schon älteren Gästen gibt es nicht. Man gibt sich den anderen gegenüber höflich distanziert mit kühl. Und doch gilt die Maxime: Leben und leben lassen. Es ist diese entspannte Atmosphäre, die der Szene den Ruf als tolerante Gemeinschaft eingebracht hat.
Der harte Abklang
Sie sahen wie gefährliche Kerle aus: Rascal Nikov und Krischan J. E. Weischenberg. Im Doppelpack besser bekannt als Rotersand, wo sie einen vielbeeinflussten Future Pop produzieren. Der Sound war noch etwas technoider, dem Trance näher, als Spetsnaz. Sänger Nikov wirkte auch mit einbandagiertem Arm wie ein Bär, doch wenn er lachte, wusste man sofort, dass er ein Lieber ist.
Die dröhnenden Bässe liessen den Holzboden erzittern, doch die Tanzmusik half nicht viel. Der Saal war nur noch halb so gute gefüllt wie bei Camouflage. Viele gingen nach ihrem Auftritt oder verteilten sich auf die verschiedenen Dancefloors.
