Das Rock am See bot einen absolut würdigen Abschluss des Festival Sommers 2013. Nachdem lange unklar war, ob das eintägige Openair überhaupt stattfinden wird, zog das Line-up mit dem beliebten Headliner Die Toten Hosen 23’000 Besucher nach Konstanz. Diese feierten ausgelassen im schönsten Sonnenschein.
Das letzte Mal das Zelt, den Schlafsack, das Isomätteli und eine Kiste Bier packen für dieses Jahr. Da stieg schon ein Hauch Wehmut auf. Darum war es gar keine Frage, ob wir schon am Freitagabend anreisen und zwei Nächte kein Auge zudrücken werden wegen lauter Musik und unbequemer Liegefläche oder als Bünzlis zu Hause versumpfen. Im Kulturladen Kula wurde eine ultimative Bauch, Beine, Po Warm-up Party angekündigt, zu der wir, nach der Inspektion des Campingplatzes, pilgerten. Auf dem Zeltplatz herrschte der normale Festivalwahnsinn, es wurde fleissig gegrillt, Bier getrunken, komische Trinkspiele gespielt und von überall schallten verschiedene Musikrichtungen allen voran derben Ballermann Sound. An dieser Stelle viele Grüsse an den DJ aus den Bergen… Ein schönes Lied zum Einschlafen, zwischendurch aufwachen, ganz aufwachen und am besten im Dauerlauf den ganzen Tag zu hören.
Zur Warm-up Party waren bereits zwei deutsche Band geladen. Die Punk Band Fox Named King mit Pop Musik im Blut musste sich mit einem kleinen Publikum begnügen. Dafür war dieses mehrheitlich halb nackt; naja zumindest die Oberkörper der Männer waren es. Zur zweiten Band The Jerks kamen dann schon mehr Leute. Das Aufwärmen ging mit den für Schweizer Verhältnisse günstigen Preise schnell und der DJ legte nach den beiden Konzerten sehr tanzbare Mucke auf.
Das Openair
Das Aufstehen viel am nächsten Tag bei diesem schönen Wetter und der Tagesplanung leicht. Fürs Duschen musste man nicht lange anstehen und für den Transport zur Bodenseearena war ebenfalls gesorgt. Mehrere Busse fuhren bis spät in die Nacht hin und her. Auf dem Festivalgelände angekommen war der Rundgang durch die Fress- und Merchandise Stände schnell erledigt, da es nur wenige Zelte gab. Immerhin konnte man sich an drei Orten piercen lassen. Der erwartete Blick auf den See blieb verwehrt und so bliebt nichts anderes übrig als zu warten und die bunten Festivalbesucher zu betrachten oder das kostenlose W-Lan zu nutzen.
Jung und knackig zum Start: The Strypes
Zur Eröffnung spielte ein verblüffend guter Act. Verblüffend vor allem, weil die vier Jungs von The Strypes, echt noch Jungs im Sinn von pubertierenden Teenager waren. Die kleinen Rolling Stones lieferten mit ihrem zarten Alter von 15-17 eine Steile Vorlage. Instrumental gingen sie ab wie kleine Götter und was die Stimme anbelangt wird der Stimmbruch vielleicht noch etwas nachhelfen. Ihre Musik ist ein Mix aus schnellem Rock’n Roll und Blues. Mit Mundharmonika, Bass, Gitarre und Schlagzeug bewaffnet gaben sich die Iren extrem cool. Vielleicht wollten sie etwas erwachsener wirken, als sie es sind. Ein wenig mehr Action und Dynamik, was die Show anbelangtr, hätte aber nicht geschadet. Was noch nicht ist, kann ja noch werden. Wir wünschen den Kleinen auf jeden Fall eine gute Portion Hormone, damit die Stimme vom Status brauchbar zu exzellent rutscht und das Gesamtpacket künftig die Welt begeistern wird (ohne kreischende, ohnmächtige Mädels natürlich).
20 Jahre und noch voll im Schuss
Der zweite Act feierte bereits das 20jährige Bühnenjubiläum. Obwohl der Frontmann Ingo Knollmann der Punkrockband Donots bereits nach dem zweiten Song zwei Mikros kaputt gemacht hatte, zeigten die Hamburger Professionalität und erzeugten eine gute Stimmung. Einfach Nordisch meinte Knollmann dann auch, dass es nie zu früh für Punkrock ist, aber nur zu spät für Bier und forderte das Publikum auf, sich zu betrinken. Ein toller Kanon war zu hören, als kurzerhand ein Geburtstagsständchen für den Gitarrist und Sänger Alex Siedenbiedel angestimmt wurde. Das Publikum fand sich dann aber doch noch, bildetee eine Einheit und folgte der Aufforderung, als Knollmann mehr nackte Leute im Publikum sehen wollte. Die Jungs schwangen ihre bunten T-Shirts, so dass eine leichte Seebrise entstand. So taff wie vor elf Jahren waren die Hamburger selber nicht mehr, denn damals hätten sie ihr letztes Lied komplett nackt gespielt.
Minnie Mouse auf Koks und doch ist es langweilig
Mit Band of Skulls folgte eine langweilige Band. Die englische Band spielte alternativ Rock, nur liessen sie den Rock weg. Das Publikum gab das zurück, was es erhielt nämlich nichts. Auch als die Sängerin Emma Richardson unterstützend mitsang und dabei wie Minnie Mouse auf Koks klang, blieb die Sache einschläfernd.
Null durchkommen ab den Broilers
Die Oi-Punkrocker aus Düsseldorf machten darauf wesentlich mehr Stimmung. Der Sympathische Frontmann Sammy Amara hatte das Publikum schnell in Griff und animierte zum Tanzen und Mitsingen. Auch er suchte vergeblich nach dem See, ein Häuschen am Bodensee könne er sich aber später mal vorstellen. Anscheinend war auch er beeindruckt von The Strypes und machte nochmals Werbung: Die Jungs sind besser als Donots, Die Toten Hosen und Broilers zusammen. Die Broilers machten so viel Laune, dass die vorderen Bereiche, nahe an der Bühne ab ihnen ständig voll waren. Es gab ein Durchkommen mehr bei den folgenden Bands.
Primal Scream der letzte Schrei?
Erstaunlich, dass nicht viele vor der Bühne die Flucht ergriffen. Über die Band Primal Scream, angekündigt als kultige Rave-Rock Formation, welche noch keinen Stil ausgelassen haben: Dance-, Dub-, Techno-, Acid-, House-, Rock- oder Indiepop Gitarrenrocks, waren die Festivalbesucher alles andere als entzückt. Die Stimmung sackte ins Nirvana ab. Auch bei seinen Animationsversuchen reagierte praktisch niemand. Kein euphorisches Uhlalala. Nix. Zero. Ein paar Lieder vor Schluss stand Frontmann Bobby Gillespie auch etwas fassungslos auf der Bühne. Mag sein, dass auf einem anderen Konzert der Stil besser ankommt, ein paar interessante Töne und Beats waren vorhanden, aber für das Rock am See ging das wortwörtlich tot in die Hosen. Der letzte Schrei gaben Sie ja zum Glück nicht für diesen Abend.
Arroganz das führt zum Tanz
Ein Glück kam nach diesem Desaster ein Garant für gute Stimmung und Schreieinlagen an die Reihe. The Hives traten gewohnt mit Anzug und einer lustigen Prise Arroganz auf. Sänger Howlin‘ Pelle Alqvist ist definitiv nicht auf den Mund gefallen. Mit seinen Ansagen, welche mehrheitlich sogar in gebrochenem Deutsch waren, brachte er das Publikum zum Lachen. Die Schweden spielten sodann einige Nummern more schnell oder auch viel schnell. Do you like it schnell? Das Publikum liess sich von ihm gerne erpressen, als er meinte, zuerst müssten sie aber ganz laut schreien. Die Fans wollten auch grosse viel mehr von ihm haben. Zum Schluss liess er sich dann von der sitzenden Menge auf Händen tragen, während er im Befehlston immer wieder «Sit down» schrie; wie es sich eben gehört für den Herr im Anzug.
Alt und knackig zum Schluss
Zum absoluten Publikumsmagnet Die Toten Hosen füllten sich die Plätze in der Arena schnell. Die Hosen starteten mit Vollgas, so dass Schlagzeugspieler Vom Ritchie gleich mal ein Lock in die Trommel spielte. Campino überbrückte das professionell, fragte ins Publikum, ob jemand Geburtstag hat und stimmte das Lied an. Fix wurde das Problem gelöst und es ging weiter. Campino kündigte an, dass sie gerne in die Mottenkiste greifen und ein paar ältere Songs hervorkramen möchten. Die Setlist war abgesehen von den zwei oder drei älteren Stücken gleich wie am Konzert im Hallenstadion Zürich von diesem Jahr (Negative White berichtete). Aber es sind halt immer wieder dieselben Lieder, die sich anfühlen, als würde die Zeit still stehen. Weil er aber registriert hatte, dass immer wieder Plakate mit Helden und Diebe hochgehalten wurden, spielte er dieses Stück, obwohl es an diesem Abend nur ein Plakat davon gab. Wir sollen aber den anderen Bescheid sagen, dass sie es gespielt haben. Ihr wisst nun also Bescheid. Ätsch! Vielleicht müsst ihr nun wieder zehn bis 15 Jahre warten.
Auf das, dass sich Campino auszieht, können die Fans wohl noch lange warten. Er meinte nämlich grinsend: Wenn noch ein Arschloch Ausziehen! ruft, dann gibt’s was auf die Mütze. Fuck off! Dafür lud er ein Mädel mit einem von den vielen «Ich kann’s besser Plakaten» auf die Bühne zum Singen ein. Dass sie aus der Schweiz kommt, erkannte er dabei sofort als sie ihren Namen nannte.
Die Kirche ist unrockbar
Publikumsnah, feurig und absolut punkrockbar – Die Toten Hosen halt. Ein echt gelungener Abschluss fürs Festivaljahr 2013. Und nun sitzen wir wie Campino zu Hause auf dem Sofa, langweilen uns und warten auf nächstes Jahr – oder besuchen einfach die anstehenden Konzerte, von welchen das Negative White-Team berichten wird. Denn das echt bescheuerte Booklet, welches den Festivalbesuchern zum Schluss abgegeben wurde, das liest wohl bestimmt keiner. Die Kirche hat sich erlaubt, nach dem Konzert ihre Worte unter dem Deckmantel «Das Neue Tote Hosen Büchlein» unter die Leute zu schmuggeln. Wenn man das Vorwort liest wird man schon etwas stutzig. Eingeleitet wird das Büchlein dann mit der Band History und dann geht’s los. Die Kirche masst es sich an, die Texte der Hosen auseinander zu nehmen und diese kritisch zu beurteilen. Die Quittung für diese kranke PR-Aktion gab es postwendend: Das Heft wurde zensiert, verrissen und als Klopapier benutzt. Echt unrockbar sowas.
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