Punk sei Dank

Für alle diejenigen, die ihren Punk-Rock am liebsten live und laut hören, ist das Loudfest mittlerweile zum Fixpunkt in der Agenda geworden. Bereits zum fünften Mal ging die Veranstaltung vergangenen Samstag im Zürcher Komplex 457 über die Bühne.

150425-FF-Loudfest-730x1030

Als Headliner für dieses Jahr wurde eine Band geladen, die zur Zeit selber auf grosser Jubiläums-Tour ist: 25 Jahre Social Distortion! Also nicht die Band (die ist schon ein bisschen älter) sondern ihr legendäres, nach ihnen selbst benannte Album, das vor einem Vierteljahrhundert veröffentlicht wurde. Und da sich Qualität bekanntlich durchsetzt, gaben sie besagtes Album in voller Länge und in bester Live-Qualität zum Besten. Doch dazu später mehr. Widmen wir uns zunächst dem Social Distortion Gitarristen Jonny Wickersham, der mit seinem Seitenprojekt Jonny Two Bags das Loudfest eröffnen durfte. Vielleicht ein etwas undankbarer Job, denn um vier Uhr nachmittags, also ganze sechs Stunden bevor er mit seiner Hauptband nochmals ran darf, befanden sich grosszügig geschätzt erst etwa 300 Zuhörer in der Halle. Bestückt mit Gitarre und unterstützt durch einen zweiten Gitarristen, der zeitweise auch zur Mandoline und zur Pedal-Steel-Gitarre wechselte, und einen weiteren Herren am Keyboard, der gut versteckt hinter dem Equipment anderer Bands in die Tasten griff, lieferte Jonny Two Bags solide gespielten Alternative Country, der für die ersten 30 Minuten Strohballen durch  die weiten, staubigen Prärien der USA bis ins Komplex wehen liess.

Altbewährte aus dem Musik-Business

Wenn man das Line-Up des diesjährigen Loudfests betrachtet, fällt auf, dass es fast ausnahmslos aus gestandenen Bands mit jahrzehntelanger Bühnenerfahrung besteht. Jessica Hernandez & The Deltas spielen zwar auch schon seit über fünf Jahren zusammen, ihr Debütalbum Secret Evil erschien jedoch erst letzten August. Und deren Sound groovt sich gut ins Ohr ein. Souliger Rock, gespickt mit einer funky Bassline hier und einem psychedelisch anmutendem Keyboard-Solo da, abgerundet mit einer Posaune, die eher im Hintergrund eingesetzt wird. Um so hervorstechender die Performance der Frontfrau Hernandez, die mit ihrem knappen Röckchen und ihren Bewegungen die Blicke aller auf sich zieht, ohne plump zu wirken. Wäre ihre Stimme noch einen Tick souliger, hätte mir das Ganze noch besser gefallen. Sei’s drum, auch diese halbe Stunde ging um wie im Flug, und die Halle füllte sich allmählich. Auch an den vielen Bars, im Fumoir oder auf der Terrasse im Obergeschoss herrschte indessen munteres Treiben.

Vom musikalischen zum kulinarischen Highlight

Als nächstes betraten vier bunt maskierte Gestalten die Bühne. Die Power Rangers? Nein, Masked Intruder! Aber ähnlich wie in der Fantasy-Actionserie war auch bei ihrem Auftritt mächtig was los. Ihr Feindbild, ein grimmig dreinschauender Cop, hatten sie gleich selber mitgebracht. Den galt es nun durch ihren gute Laune Pop-Punk zu bezwingen (oder zu bekehren..?). Ganz schlüssig wurde ich aus dem Konzept nicht, vor allem nachdem sich der Bulle auch selber ins pogende Publikum stürzte und die aussen rumstehenden Fans zum mitmachen animierte. Ziemlich verrückt das Ganze, aber mit einem Unterhaltungswert erster Güte.
Während die vier Sturmhauben-Träger dank mehrfachen Harmonie-Gesangs Punkrock der melodiösesten Art spielten, setzten ihre momentanen Tour-Buddies, Teenage Bottlerocket,die und am Loudfest direkt nach ihnen auftraten, vor allem auf Tempo. Schneller, rotziger Pop-Punk für Leute mit zu viel Energie. Dementsprechend ging es auch wildzu und her im Mosh-Pit: Crowdsurfen, Circle-Pit rennen während man den Kumpel Huckepack trägt, über Leute straucheln die zuvor auf dem Bier getränkten Boden ausrutschten schien hier alles normal zu sein und gipfelte in dem Moment, als Teenage Bottlerocket den Ramones Klassiker Blitzkrieg Bop anspielten. Hey ho, let’s go – das Loudfest ist in vollem Gange.
Eine leichte Aufgabe also für Off With Their Heads, das aufgestachelte Publikum weiter in Ekstase zu spielen. Die raue Stimme von Sänger Ryan Young gepaart mit aggressivem, gleichzeitig melodischem Punkrock, ist geradezu prädestiniert dafür, live vorgetragen zu werden.

Nach all den Bands meldete sich langsam der Hunger, und es wurde Zeit, sich für einen der drei Food-Stände zu entscheiden. Von Wurst mit Salat über Hamburger und Pizza bis hin zu veganen Leckereien war alles vertreten, was sich hungrige Festivalbesucher wünschen können. Dass gefühlte Ewigkeiten angestanden werden musste lag wohl nicht nur daran, weil ich mich grundsätzlich immer da anstelle, wo’s am längsten geht, sondern auch daran, dass das Komplex mittlerweile nahezu voll war. Auch dass augenscheinlich der Altersdurchschnitt des Publikums von Minute zu Minute immer höher wurde, wertete ich als gutes Zeichen, zeigt es doch, dass eine Band treue Fans hat, und dass sie es immer noch wert sind, wieder und wieder live angesehen zu werden.

Verdienter zweiter Platz

Nachdem The Peacocks, übrigens die einzige Schweizer Band am diesjährigen Loudfest, bewiesen hatten, dass sie zurecht den Slot direkt vor den grossen Social Distortion bekommen hatten, wurde es nun Zeit, sich auf den Headliner zu freuen. Werden sie wirklich alle Songs vom selbstbetitelten Album spielen? Wird die Reihenfolge 1:1 wie auf dem Album sein? Bleibt da überhaupt noch genug Zeit für andere Lieder? Zugegeben, ich war noch nie an einer Album Anniversary Show, obwohl das ja zur Zeit echt trendy zu sein scheint und von nicht wenigen Bands gemacht wird.
Das Backdrop passte schon mal zum Albumcover, und Social D legten dann auch mit So Far Away als Opener los. Das Publikum sang mit, und in der Mitte wurde wieder munter weiter gemoshed, wie es schon bei den Bands zuvor der Fall gewesen war. Allerspätestens als mit dem drittem Lied Story of My Life angestimmt wurde, war mir klar, dass da von der Song-Reihenfolge nicht abgewichen wird. So verzeichnete das Konzert schon sehr früh den ersten Höhepunkt. Mit Sick Boys und Ball and Chain wurde das Niveau auch ähnlich hoch gehalten, eine ganz starke erste halbe Stunde. Die Band selber wirkte ziemlich cool und unaufgeregt. Frontmann Mike Ness richtete sich stets mit ruhigem Ton ans Publikum, tigerte mit seiner Gitarre vom einen Bühnenrand zum anderen und wirkte vor allem bei den Gitarrensoli, allen voran bei dem langen von Drug Train, wie die Coolness in Person.
«Are you ready for the second part?» Fragte Ness, und so folgte dann ein Best-Of der anderen Alben, und ein meines Erachtens etwas unnötiges Cover des Rolling Stones Klassiker Wild Horses, wo mich zum ersten Mal die Müdigkeit und die Anstrengungen des Tages packten. Richtig wach war ich dann aber spätestens beim zweiten Cover, das Social D in der Zugabe spielten. Natürlich, ihre Version von Ring of Fire, die ja ebenfalls auf dem selbstbetitelten Album zu finden ist, fehlte noch. Zusammen mit Don’t Drag Me Down wurde hier noch ein schönes Schluss-Highlight gesetzt, bevor das Loudfest 2015 zu Ende ging.