Fotoshootings gehören zum WGT-Alltag (Sacha Saxer)
Fotoshootings gehören zum WGT-Alltag (Sacha Saxer)

Höhen und Tiefen in Leipzig

Schon zum 22. Mal sah Leipzig schwarz – und wie jedes Jahr freute sich die sächsische Stadt auf die seltsamen Besucher, die jedes Pfingsten dafür sorgen, dass alle Hotelzimmer ausgebucht sind und alle Hobbyfotografen wieder mal kräftig Futter für die Kameras kriegen.

Fotoshootings gehören zum WGT-Alltag (Sacha Saxer)
Fotoshootings gehören zum WGT-Alltag (Sacha Saxer)

 

Das 22. WGT ist leider auch schon wieder vorbei, doch was bleibt, sind Erinnerungen an schöne Konzerte, nette Leute und eine gute Zeit. Gute vier Tage lang feierten rund 20’000 Anhänger der Schwarzen Szene ihr alljährlich grösstes Fest – und sehr zur Freude der Gastgeber ist es auch dieses Jahr wieder ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufen. Ja, wir mögen schräg und für den einen oder anderen gar bedrohlich wirken, aber es gibt wohl nichts friedlicheres als einen Haufen Gruftis. Beim WGT mag das auch darin begründet sein, dass wir vor lauter Angebot gar keine Zeit für Dummheiten haben, zu viel will gesehen, gehört und erlebt werden.

Das Viktorianische Fotografentreffen

Mittlerweile hat das Festival aber eine Grösse erreicht, bei der sich neben den eigentlichen Besuchern auch hunderte Schaulustige nach Leipzig begeben. Natürlich muss davon jeder eine Kamera rumschwingen und nach Möglichkeit jedes Motiv von vorne, hinten und gar unten ablichten. Gerade beim Viktorianischen Picknick im Clara Zetkin Park ist dies sehr augenscheinlich. Teilweise sind fast mehr Hobbyfotografen vor Ort als in prunkvolle viktorianische Koostüme gekleidete Gothen, die oftmals stilecht einen halben Hausrat mit auf die Wiese schleppen, um in gediegener Atmosphäre zu speisen und sich mit Freunden zu unterhalten. Leider hat man in den letzten Jahren immer mehr das Gefühl in einem Wildpark zu wandeln und ähnlich wie im Zoo muss man die Gruftis zwischen den Schaulustigen fast schon suchen. Wäre irgendwie noch schön, wenn in Zukunft das Viktorianische Picknick in einem für WGT-Besucher reservierten Bereich stattfinden könnte, so dass man wenigstens von Hinz und Kunz verschont bleiben würde. Einlass nur mit Dresscode, auch für (Presse-)Fotografen. Auch wenn die Kameras noch immer zahlreich vorhanden wären, würde das ganze doch optisch massiv aufgewertet werden – und es wäre wieder etwas mehr Platz vorhanden.

Like Discovery Channel. But with Beer!

Für mich hatte das WGT schon am Donnerstag angefangen, mit der «Nerd Nite» im Beyerhaus-Keller. Eine Veranstaltung der Leipziger Studenten, die sie gerne als «Wie der Discovery Channel, aber mit Bier!» anpreisen. Drei Vorträge, gehalten von Studenten der Uni Leipzig, zu Themen, die auch für das breite Publikum zugänglich sind, aber ganz klar mehr Unterhaltungspotential für akademisch Interessierte bieten. Leider hatte ich den ersten Vortrag verpasst, aber das Bratwurst-Essen zum Vortrag über «Stuhl-Transplantation» war auch etwas speziell. Akademisch wertvoller Fäkalhumor, dass es sowas wirklich geben kann… Die Chemiestudenten wollten dem natürlich in Nichts nachstehen und liessen es Knallen und Stinken, wie es sich für ihrereins gehört.
Danach stieg im Untergeschoss eine Party zu wavingen und rockingen Klängen, gemischt mit etwas Minimal-EMB, wenn man’s dann so bezeichnen wollte. Auf jeden Fall gaben sich die DJs die grösste Mühe, die Gäste zu unterhalten und die vollen Tanzflächen gaben ihrer Musikauswahl wohl Recht. Ein gelungener Einstieg ins Pfingstwochenende.

Akustische Höhenflüge…

Wie jedes Jahr war das Programm gespickt mit musikalischen Perlen, verteilt über viele verschiedene Veranstaltungsorte in halb Leipzig. Bei schönen Wetter ist die Parkbühne im Clara Zetkin Park meine Lieblingsvenue; nicht zuletzt, weil die Akustik dort neben der Hauptbühne im Heidnischen Dorf mit Abstand am Besten ist und dort meistens griffiger Gothic-Rock gespielt wird. Dank herrlichem Sonnenschein hatte ich mich dann auch praktisch den ganzen Freitag und Sonntag dort aufgehalten und mich besonders an den Auftritten von Terminal Gods, Gitane Demone und Xandria erfreut. Besonders erstere waren eine grosse Überraschung. Sie konnten mich als Opener mehr als überzeugen und ich hoffe, dass ich nicht zum letzten Mal von den Londonern gehört habe. Da am Samstag keine Konzerte auf der Parkbühne gespielt wurde, widmete ich mich an diesem Tag hauptsächlich meinem zweiten Lieblingsort in Leipzig: dem Werk II, wo sich vor allem Punks aller Ausrichtungen einfinden. Dass dann auch noch die Mescaline Babies den Konzertabend eröffneten, sorgte nur noch für bessere Stimmung. Kalle und Sydney begrüssten mich schon vor dem Konzert und lieferten ein herrliches Konzert ab. Endlich mal eine Bühne, die gross genug für Sydney’s akrobatische Einlagen ist, konnte ich sie doch bis jetzt nur in kleinen Locations wie dem Werk21 in Zürich sehen. Auch der Montag gehört bei mir am WGT eigentlich dem Werk II mit seinem Horrorpunk/Psychobilly-Tag. Übertriebene Masken, überdrehte Musiker, und Musik, die einfach Spass macht – kurz, der perfekte Abschluss des schönsten Wochenendes des Jahres.

…und Tiefschläge

Neben meinen Lieblingsbühnen gibt’s natürlich auch noch diverse andere, auf welchen Acts auftreten, die ich gerne sehe und höre. Doch leider sind besonders die grossen Bühnen in Hallen, die akustisch – freundlich gesagt – zu Wünschen übrig lassen. So meide ich mittlerweile die Agra-Konzerte, da die alte Messehalle mit ihrer Wellblechkonstruktion einfach zu sehr scheppert und dadurch den Genuss der Musik drastisch reduzieren. Für ein paar Fotos war ich aber auch dieses Jahr wieder bereit in die Agra zu fahren und konnte The 69 Eyes und die Patenbrigade Wolff einfangen. Ein weiterer Veranstaltungsort ist der Kohlrabizirkus, auch bekannt als Leipzig Doppel-D wegen seiner markanten Doppelkuppelform, in welchem immer wieder Bands auftreten, die mir sehr gefallen – letztes Jahr Lacuna Coil und Amorphis, während ich mich dieses Jahr besonders auf Paradise Lost freute. Hatte ich letztes Jahr die schlechte Akustik des Lacuna Coil Konzerts noch auf meinen Bowlen-Konsum geschoben, konnte ich die miese Soundqualität während des Amorphis-Auftritts nicht mehr überhören. Ich beschloss, dem Kohlrabizirkus eine zweite Chance zu geben und reiste zu Paradise Lost. Voller Vorfreude wartete ich mehr oder weniger geduldig, bis der Soundcheck der Briten nach über 20 Minuten Verspätung endlich vorbei war und ich eine meiner Lieblingsbands endlich wieder live sehen konnte – wenn ich gewusst hätte, was für eine Katastrophe mich erwarten würde, wäre ich schon da davongerannt. Die Musik war leider nur als akustischer Brei wahrzunehmen und die Lightshow war ebenso sparsam. Nach der Ermordung von Paradise Lost hatte ich mir dann die Auftritte von Ensiferum und Korpiklaani erspart, deren Musik musste ich nicht auch noch in dieser «Halle des Grauens» kaputt machen lassen.

Warten auf Godot – oder Einlass

Doch ein paar Konzerthallen, in denen einfach alles grässlich tönt, können einem die Stimmung an einem WGT nicht vermiesen. Im Gegenteil, man wendet sich in solchen Fällen einfach dem vielfältigen Angebot, das einem sonst noch geboten wird, zu. Ein Besuch im Heidnischen Dorf lohnt sich immer, aber es lohnt sich, jeweils relativ früh dort einzutreffen, da sich das Dorf sehr schnell füllt. Auch wenn man sich für eine der zahlreichen Lesungen oder einem Besuch in der Oper interessiert, sollte man gut ein bis zwei Stunden vorher vor Ort sein. Die Wartezeit kann aber immer gut genutzt werden, um neue Leute kennenzulernen. Und wenn man mal gar kein Gesprächsthema findet, kann man immer noch über die Schaltung der Verkehrsampeln an Leipziger Kreuzungen diskutieren – nicht mal die Taxifahrer dort konnten bis heute ein System entdecken. Zwei weitere Orte, an welchen man besser sehr frühzeitig auftaucht, sind die Moritzbastei, sofern man ein Konzert besuchen möchte, und die Sixtina. Beide Locations sind leider sehr klein und schnell überfüllt, so dass niemand mehr reingelassen wird.
Was ich auch sehr seltsam fand, war die Tatsache, dass diverse «Presse»-Fotografen mit einer Kompaktkamera in den Fotograben bei Konzerten gelassen wurde. Es war teilweise sowieso schon sehr eng, dass man sich dann den knappen Platz noch mit Anfängern, die keine Ahnung von Konzertfotografie hatten, teilen musste, sorgte für einiges Kopfzerbrechen. Ich hoffe, dass nächstes Jahr die Sicherheitskräfte angewiesen werden, solche Fotografen nicht mehr in den Graben zu lassen, besonders bei Konzerten, die auf sehr grosses Medienecho stossen.

Doch eines ist sicher: Nach dem WGT ist vor dem WGT und auch im nächsten Jahr warten wieder viele Künstler darauf, von einem breiten Publikum entdeckt zu werden.

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