Bild: Nicola Tröhler

Himmel, Arsch und Zwirn: Eisbrecher haben den Rock’n’Roll begriffen

Neue Deutsche Härte lautete die Devise am Konzert von Eisbrecher im Zürcher X-Tra. Die Band bewies zwei Dinge: Sie wissen, was Rock’n’Roll bedeutet. Und sie haben mehr Tiefgang, als es zuerst scheint.

Es wird dunkel. Der chemische Geruch des Kunstnebels schwappt durch den Saal. Eisig blaue Lichtstrahlen durchstechen die Schwaden… Und die Sturmfahrt beginnt.

Ab der ersten Sekunde rumort, stampft und dampft es im Eisbrecher-Maschinenraum. Der Jubel ist ihr Treibstoff, und davon kriegt die Neue-Deutsche-Härte-Band an diesem Abend mehr als genug. Mit ihrem neuen Album Sturmfahrt auf der Kommandobrücke und 15 Jahre Erfahrung in der Kombüse sticht die Mannschaft um den Charismatiker Alexander Wesselsky und den Gitarristen Jochen «Noel Pix» Seibert in See.

Kein «langweiliger Dia-Abend»

Was in den nächsten 100 Minuten folgt, ist nichts Geringeres als ein explosives Feuerwerk. Die Zutaten sind altbekannt: Hartes Industrial-Gestampfe, ansteckende Melodien und viel Show. Nach den ersten drei Songs verabschiedet Wesselsky die Fotografen aus dem Graben und setzt zur vertrauten Rede an: Man werde jetzt drei Posen einnehmen, damit alle ihre Fotos mit dem Smartphone machen können. Danach sollen die Dinger gefälligst in der Tasche bleiben. Die Schnappschüsse sähen sowieso «scheisse» aus, sagt er und fügt an: «Früher waren die Dia-Abende langweilig, aber immerhin die Fotos gut…». Gelächter.

Der Frontmann Wesselsky ist der Dreh- und Angelpunkt der Band. Ohne ihn würden Eisbrecher nicht funktionieren. Der ehemalige Megaherz-Sänger und TV-Moderator ist der geborene Unterhalter: charmant, amüsant und gutaussehend. Eisbrecher haben begriffen, was Rock’n’Roll ist: It’s entertainment, stupid!

So wechseln die Herren während ihrer Show häufiger die Outfits als Mick Jagger von den Stones. Den Grauzone-Hit Eisbär performen sie weissen Jackets und schmeissen Plüsch-Bären ins Publikum. Zum kontroversen Stück Amok hämmern die Musiker auf alte Ölfässer. Sogar ihre Roadies werden in Uniformen gesteckt. Eisbrecher tun alles, dass ihr Konzert nicht zu einem «langweiligen Dia-Abend» verkommt.

Der perfekte Schlusspunkt

In dieser mit Effekten aufgeladenen Show bleiben die schwächsten Momente die ruhigeren Songs. Die Typen, die stets mit harter Musik hantieren, setzen dann zu Power-Balladen an, und es wirkt immer ein wenig komisch. Die zartschmelzenden Herzensbrecher zu mimen, gelingt ihnen nicht wirklich zwischen all dem Blitz und Donner.

Am Ende setzt die Band nochmals einen drauf: Mit Was ist hier los? lärmen sie auf unheimlich martialische Weise. Die Drums krachen, als schlügen tausend Hämmer gleichzeitig auf den Amboss. Man muss sich anstrengen, bei dieser Wut, diesem Druck, dieser Intensität auf den Füssen zu bleiben. Gefolgt von This is deutsch und einem kongenialen Synth-Drum-Solo ist der Höhepunkt fast erreicht. Dann explodiert die Band gemeinsam mit dem Publikum zu Miststück. Jubel, Geschrei und Applaus sind ohrenbetäubend. Das X-Tra zittert vor Euphorie. Es ist der perfekte Schlusspunkt.

Der nachdenkliche Abschied

Nein, Eisbrecher sind noch nicht fertig. Sie verabschieden sich mit einem nachdenklichen Stück. In einem Boot vom neuen Werk Sturmfahrt wirkt nach der Anklage von Was ist hier los? und der parodistischen Überhöhung des Deutsch-Sein in This is deutsch wie eine Mahnung. Wesselsky singt inbrünstig:

Wir sitzen alle in einem Boot
Kein SOS, kein Funksignal, kein Echolot

Nun ist diese Redewendung wie gemacht für das Rollenspiel von Eisbrecher. Doch der Song beschreibt die universelle Wahrheit: Die Menschheit sitzt tatsächlich in einem Boot. Unsere Entscheidungen betreffen alle. «Wir leben im Maschinenklang und nichts als Angst treibt uns voran.» Eine Zeile, die den Zustand der westlichen Gesellschaft mit ihrem Leistungsdruck doch prägnant auf den Punkt bringt. Und dann fragt uns das Stück noch: «Wer weiss wie tief die Reise geht, die uns zum Rand des Wahnsinns trägt?»

So beschliessen Eisbrecher mit einem äusserst nachdenklichen und auch kritischen Song. Es passt zum Bild, das sie seit einiger Zeit von sich zeichnen: Das Video von Was ist hier los? kontrastiert Bilder unseres Luxus und Überfluss mit den Tragödien auf der Welt. Ein Schönheitswettbewerb wird auf ein hungerndes Kind geschnitten, die Botox-Spritze auf ein deformiertes Gesicht und ein sinkendes Flüchtlingsschiff auf marschierende Armeen.

Am Openair «Summer Breeze» liess die Band 2016 zu This is deutsch Statisten auf der Bühne mit Schildern protestieren – mit den typischen Wutbürger-Aussagen wie «Das wird man wohl noch sagen dürfen» oder «Ich bin kein Rassist, aber…».

Eisbrecher, eine Band, die harten Sound à la Rammstein spielt, lebt ständig in Gefahr, auf dem braunen Bodensatz aufzulaufen. Doch die Musiker aus Bayern distanzieren sich nun immer expliziter von rechten Tendenzen. Die kritische Betrachtung unserer Lebenswelt kommt dabei – zum Glück – nicht zu kurz. Eisbrecher beweisen auch in Zürich: Sie haben mehr Tiefgang, als es zunächst scheint.

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