Mit Herbie Hancock und Melody Gardot standen ein Altmeister und ein Shootingstar des Jazz auf der Bühne der AVO session Basel. Zwei Künstler, die gegensätzlicher nicht sein könnten und es beide auf ihre Weise verstanden, das Publikum zu begeistern.
Als Wunderkind mit schwerer Vergangenheit wurde Melody Gardot angekündigt und selten war diese Bezeichnung so treffend wie bei dieser Ausnahmekünstlerin. Melody und ihre fünf Musiker nahmen die Besucher des Jazzabends der diesjährigen AVO session Basel mit auf eine musikalische Weltreise. Das Bühnenbild, das ausgelassene Spiel ihrer Band und nicht zuletzt ihre fantastische Stimme liessen das Gefühl aufkommen, nicht im Musical Theater Basel zu sitzen, sondern in einer gemütlichen Lounge eines Jazzclubs in New Orleans. Dieses Gefühl wurde durch die angenehme Lautstärke des Konzerts – Ohrstöpsel waren zwar an den Eingängen in genügender Menge zur Verfügung gestellt, gebraucht hat man sie jedoch nicht – nur noch verstärkt. An dieser Stelle muss man den Organisatoren der AVO session Basel ein grosses Lob aussprechen. Im vorderen Drittel des Saals wurden die Sitze mit dezent flackernden LED-Kerzen versehen, was dem Anlass eine festliche Atmosphäre verlieh.
Melody stellte jeden einzelnen ihrer Musiker vor und überliess ihnen die Bühne für längere Soli. Einer stach jedoch schon durch seine Ankündigung heraus: “He’s often referred to as Mr. Everything but you may refer to him as Mr. Owen Hall.” Gardot war sichtlich gut gelaunt und alberte mit dem Publikum rum. Sie sei die günstigste Reisebüroangestellte der Welt, sie nähme uns gratis auf eine Reise nach Frankreich mit. “Willkommen an Bord des AirFrance Fluges nach Paris. Der Pilot ist eigentlich gar kein Pilot und falls wir abstürzen ist das auch nicht so tragisch, wenigstens sterben wir zu Jazz.”, scherzte die sympathische Sängerin, bevor sie von der Bühne abging und Owen mit seinen Saxophons das Rampenlicht überliess. Als er dann nicht mit einem, sondern gleich mit zwei Instrumenten gleichzeitig am Mund spielte, war jedem klar, wieso er Mr. Everything genannt wird. Definitiv einer der Höhepunkte dieses wunderbaren Abends.
Ob am Klavier, an der Gitarre oder einfach nur am Mikrofon, Melody hatte das Publikum fest in ihren Bann gezogen – ihre gute Laune steckte alle an und der Aufforderung zum Mitklatschen kamen fast ausnahmslos alle Besucher nach. Auch als sie die Leute zum Tanzen animierte, blieb kaum jemand sitzen und dank der live Videowänden und guter Kameraführung konnte man sehen, was für ein Bild sich der Band bot: Gegen 1’500 Gäste allen Alters, die überglücklich zur Musik mittanzt. Melody liess es sich auch nicht nehmen, ein paar einzelne Tanzverweigerer persönlich aufzufordern, sich gehen zu lassen. Die Energie im Musical Theater Basel war unbeschreiblich.
Im zweiten Teil des Abends stand ein Mann alleine im Zentrum: Herbie Hancock war auf Solopfaden unterwegs und überzeugte gleich zu Beginn mit einer speziellen Interpretation von Footprints. Das schöne am Solo-Spielen sei, dass er machen könne, was er wolle. Und das hat er auch gemacht. Einzelne Passagen wurden verkürzt, andere verlängert und ausgeschmückt und am Ende stand eine einmalige Version eines Songs, den jeder Jazzmusiker kennt, im Raum.
Das Klavierspiel bereicherte Herbie immer wieder durch über eines der insgesamt fünf iPads eingespeisten Samples und Loops, wodurch er eine sehr komplexe Klangwelt, die einen einlullte und immer wieder überraschte, zu erzeugen vermochte und seinem Ruf als sich ständig neu erfindender Musik einmal mehr gerecht wurde. Der experimentelle, avantgardistische Sound war nach dem Feuerwerk, das Melody Gardot gezündet hatte, allerdings ein grosser Kontrast und für einzelne Besucher zu schwere Kost.
Der Umstand, dass man Herbie meistens hinter iPads und Keyboards versteckt an seinem Flügel spielen sah, sorgte für eine gewisse Distanz, die zusammen mit seinen anspruchsvollen Kompositionen verhinderte, dass der Funke trotz der sichtbaren Freude, mit welcher Hancock spielte, leicht aufs Publikum überspringen konnte.
Immer wieder wurden die Sequenzen langatmiger, doch immer bevor die Musik in die Langweiligkeit abzudriften drohte, überraschte Herbie mit neuen Ideen und Variationen, so dass jedes Stück zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk wurde. Und spätestens beim letzten Track, bei welchem er zur Keytar griff und sich direkt vors Publikum stellte, hatte er das komplette Publikum in seiner Hand. Ein würdiger Abschluss einer genialen, wenn auch nicht leicht verdaulichen Performance.
Best of Jazz – das sind grosse Worte und auch die Organisatoren waren sich dessen bewusst. Ob Melody Gardot und Herbie Hancock nun Best of Jazz darstellen, muss jeder für sich selber entscheiden. Dass die beiden umwerfende Performances hingelegt und das Publikum überzeugt haben, steht ausser Frage. Mir persönlich hat Melodys Auftritt besser gefallen, war greif- und spürbarer als der experimentelle Jazz von Herbie, der zwar auf sehr hohem Niveau gespielt wurde, aber teilweise etwas steril auf mich wirkte. Wer experimentelle Musik mag und bereit ist, sich einer ständig wechselnden Klangwelt hinzugeben, der ist mit Herbie Hancock allerdings bestens bedient. Wer lieber mitreissende Rhythmen und wunderbaren Gesang gepaart mit spannenden Improvisationen mag, der konnte an diesem Abend mit Melody Gardot nichts falsch machen.
Beiden ist gemeinsam, dass sie mit einer unbändigen Freude musizieren und völlig in ihrer Musik aufgehen. Eine traumhafte Jazz-Nacht an der AVO session Basel, die mich mehr als neugierig auf den Blues Cruise gemacht hat.
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