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Cilia Hunch: Wenn ein Album der Energie nicht gerecht wird

«Armed Or Deedless» heisst der frisch veröffentlichte Erstling der Soul-Kombo Cilia Hunch. Doch wer diese Band begreifen will, muss sie mit allen Sinnen erleben.

Es ist ein wüstes Gebäude, unweit vom Greifensee im Zürcher Oberland. Ein typischer Bau im 70er-Stil. Keine Spur von Glamour. Und doch: Schon Gianna Nannini, Prince oder Lady Gaga sind durch diese Tür spaziert.

Die Rede ist von den legendären Powerplay Studios in Maur. Auch Polo Hofer war schon hier, und Züri West. Jüngst reihte sich das Septett Cilia Hunch in diese illustre Runde ein. Zwei Wochen lebten sie im Studio, nahmen ihr Debütalbum Armed Or Deedless auf.

Hier nahmen schon Prince und Lady Gaga auf. Bild: Janosch Tröhler

An einem frühherbstlichen Freitagabend, einen Tag vor dem offiziellen Release, lädt die Soul-Band zum exquisiten Vorabhören ihres Werks – in ebendiesen heiligen Hallen der Musik. Also bloss ein weiterer, inzestuöser Musikbiz-Anlass für Cüpli-Trinker?

Nein. Der Abend ist eher einem Familientreffen für Freunde und Verwandte der Band. Der Event öffentlich ist, aber man muss ehrlich sein: Maur ist etwas zu weit ab vom Schuss, als dass viele den Weg hierhin finden. Das ist nicht weiter schlimm, denn das Studio A im Erdgeschoss bietet keinen Platz für einen Grossandrang.

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Die Stimmung ist locker. Neugierig streifen die Besucherinnen und Besucher durch die Gänge, studieren die goldenen, silbernen Schallplatten im Treppenhaus. Es sind auch solche aus Platin darunter. Und manche staunen, wen es schon hierher verschlagen hat. Die Kundenliste der Powerplay Studios liest sich wie ein Who-is-Who der 80er und 90er.

 

Es ist ein verschachteltes Konstrukt, ein Strudel aus souligen Stimmen, R’n’B-Appeal, Hip-Hop-Cool und rockigen Grooves.

Mit Verspätung beginnt dann der eigentliche Grund, hier zu sein: Cilia Hunch stellen ihr Album vor, spielen die 13 Songs der Reihe nach durch. Dabei wird schnell klar: Armed Or Deedless ist keine simple Musik. Es ist ein verschachteltes Konstrukt, ein Strudel aus souligen Stimmen, R’n’B-Appeal, Hip-Hop-Cool und rockigen Grooves. Vielschichtig und dreidimensional. Geerdet und abgehoben zugleich.

Cilia Hunch sind nie langweilig, aber immer mutig. Bild: Janosch Tröhler

Cilia Hunch sind nie langweilig, aber immer mutig. Sie springen mit jedem Song von der Klippe der bequemen Konvention. Ihnen bleiben nur zwei Optionen: der Flug oder der Absturz. Das macht diese Band so aufregend. Es geht immer um alles oder nichts. Eine nervenaufreibendere Geschichte kann man nicht erzählen.

Aber die Band stürzt nie in den Abgrund. Ihr Sound, sie nennen ihn «Future Soul», hat breite Schwingen, die sie bisweilen gar in psychedelische Gefilde tragen. An diesem Abend verlieren sie sich in grossartigen Instrumentalparts, holen das Beste aus sich raus. Und das, obwohl die Background-Sängerin Mariel Zambellis keine Stimme hat und deshalb nicht mit auftritt. Trotzdem schafft es Carla Fellinger, ebenfalls Background-Sängerin und Teil von Klain Karoo, die Passagen kraftvoll zu unterstreichen. Die Finger von Keyboarder Marvin Trummer und dem Gitarristen Claude Stucki hüpfen wie junge Rehe im Frühlingstaumel, während die Rhythmus-Fraktion mit Paul Amereller und Mo Meyer ein meterdickes Fundament giessen.

Als Cilia Hunch bei Soundless Cry ankommen, der zweiten Single-Auskopplung, übernimmt die Leadsängerin Fernanda Ramos gar den Rap-Part, der auf dem Album durch Pablo Vögtli vorgetragen wird. Das Publikum jubelt, wirft die Hände in die Luft. Euphorie elektrisiert den Raum.

Der Klang im Studio ist glasklar. Und plötzlich realisiert man: Da stehen einem sechs ausserordentlich talentierte Musikerinnen und Musiker gegenüber – ohne Bühne, auf Augenhöhe. Direkter, intimer geht es nicht. Doch diese Menschen da vorne haben sich während ihres Auftritts komplett aufgelöst und sind ineinander geflossen. Sie sind ein einziges Ganzes geworden. So sehr man sich bemüht; man vermag die Individuen nicht mehr aus diesem Klanggefüge herausspalten. Als seien sie Kohlenstoffatome in einem Diamant. Eine unheimlich starke chemische Verbindung, die etwas Seltenes, Wertvolles und Schönes schafft. Etwas, das man auch gar nicht genau analysieren mag. Denn es würde bloss diese unbegreifliche Magie zerstören.

Bild: Janosch Tröhler

Selbst wenn Armed Or Deedless in einem für heutige Standards extravaganten Setting aufgenommen wurde – nämlich live und nicht in getrennten Sessions für die einzelnen Parts – kommt das Album niemals an das heran, was Cilia Hunch an diesem Konzert bieten. Dieses leichtfüssige und doch hochkonzentrierte Zusammenspiel. Die filterlose Direktheit, mit der sie ihre Songs entwickeln. Das alles vermag ihr Album – eigentlich jedes Album – nicht zu transportieren. Dafür kann die Band natürlich nichts. Musik, gerade jene von Cilia Hunch, ist eine performative Kunst, die sich kaum bannen lässt. Ausser dem flüchtigen Live-Moment, der sich ins Gedächtnis brennt.

Armed Or Deedless ist nur ein Schatten dessen, was Cilia Hunch wirklich sind. Es ist ein facettenreiches, starkes Album. Für ein Debüt kann man es gar als herausragend bezeichnen. Die Ernsthaftigkeit, mit der die Band ihre Musik macht, reflektiert sich nicht nur in der raffinierten Instrumentalisierung, sondern auch in den tiefschürfenden, gesellschaftskritischen Texten. Aber wer Cilia Hunch wirklich begreifen will, muss sie mit allen Sinnen erleben.