Mit dem neuen Album «I Loved You At Your Darkest» im Gepäck lieferten Behemoth das, was man erwartet: Ein mitreissendes Spektakel. Alles stimmte – bis auf das Publikum.
Manchmal springt der Funke sofort, manchmal spät. Und manchmal, da springt er nie.
Das Komplex 457 an der Hohlstrasse ist an diesem Dienstagabend gut gefüllt, aber längst nicht ausverkauft. Die Galerie im oberen Stock ist geschlossen. Allmählich tröpfeln ein – für ein Metal-Konzert – doch diverses Publikum in den Raum. Wartend, trinkend, am Merch-Stand anstehend.
Sie sind alle wegen einem Ungetüm hier: Behemoth.
Nach dem Erfolg der Beinahe-Tod
Es war 1991, als diese Ausgeburt das Licht der Welt im polnischen Danzig erblickte. Damals noch als Baphomet, später dann als Behemoth. Benannt nach dem Ungeheuer der christlich-jüdischen Mythologie, inspiriert von frühen Black-Metal-Bands wie Venom, Celtic Frost oder Samael.
Es dauerte über ein Jahrzehnt, bis die Band den Sound fand, für den sie heute berühmt-berüchtigt ist. Die Alben Satanica (1999) oder Thelema 6 (2000) wirken heute radikal anders. Erst auf Demigod (2004) lassen sich erste Spuren der vertrauten Klangkulisse erahnen.
Doch der endgültige Durchbruch – zumindest in ihrer Heimat Polen – folgte 2009. Das Album Evangelion hievte sich an die Spitze der Charts. Eine bemerkenswerte Leistung in dem erzkatholischen Land für eine Band, die den Satanismus auf den Bannern trägt.
Nur ein Jahr nach dem Erfolg stand Behemoth wortwörtlich vor dem Tod. Adam «Nergal» Darski, das letzte verbliebene Gründungsmitglied und die kreative Kraft, erkrankte schwer an Leukämie. Dank einer anonymen Stammzellenspende wurde Darski am 17. Januar 2011 geheilt entlassen.
Instagram und Inszenierung
Finsterling Nergal war nun ein veränderter Mensch: «It’s fucking great to be alive!», pflegt er nun von der Bühne zu schreien. Auf Instagram zeigt er sich fröhlich am Strand, in hautengen Yogapants beim Workout oder im eigenen Barber-Shop. Viele fangen an, Nergal und Behemoth zu belächeln. Sie seien nicht «trve», die Musik sei «Hipster Black Metal».
Nachdem die Band 2014 mit The Satanist Im lesenswerten Interview ihr bislang erfolgreichstes Werk veröffentlichte, konterte Nergal die banale Kritik gleich mehrfach. mit dem Magazin «Vice» entgegnete er den Vorwürfen: «Hipster ist nur eine weitere Definition, um das Leben leichter zu machen. Fick darauf, das ist mir egal.»
Eine Tendenz zur Inszenierung und Theatralik ist dem ausgebildeten Museumskurator aber nicht abhanden gekommen: Die Bühnenpräsenz und Show von Behemoth spielen in einer eigenen Liga. Nergal und seine Mitmusiker haben erkannt, dass Konzerte als letzte noch lukrative Einnahmequelle ein Erlebnis sein müssen.
Mit den neuen, variantenreichen Songs des letztjährigen Albums I Loved You At Your Darkest beweisen sie auch in Zürich aufs Neue ihre Qualitäten. Doch es zeigt sich auch die Schattenseite.
Bevor Behemoth zum Angriff übergehen, bilden Wolves In The Throne Room und At The Gates die Vorhut. Erstere, ein Blackgaze-Stosstrupp aus den USA, passen musikalisch perfekt in den Abend. Leider zerschellen die ruhigen, melodiösen Parts an der schlechten Akustik. Der faszinierende Tanz von brachialen und sanften Passagen zerfällt. At The Gates, die bierbäuchigen Death Metaller aus Schweden, heben die Stimmung dann schon eher. Hier wirkt ihr roher, Hardcore-infizierter Sound allerdings etwas irritierend.
Dann endlich, drei Stunden nach Türöffnung, ist es soweit: Behemoth starten mit einem Knall. Der Vorhang fällt und die Wolves Of Siberia stürmen den Raum.
Was folgt, ist ein rund 80-minütiges Spektakel: Pyro-Effekte, okkulte Kostüme, martialische Gesten und ohrenbetäubender Black und Death Metal. Sie liefern das, was sie eben wie keine zweite Band des Genres so perfektioniert hat. Die Mischung aus fesselnder Performance und niederwalzender Musik.
Eine Herde Blinder und Lahmer
Eigentlich hätte einem denkwürdigen Konzertabend nichts im Weg gestanden, wäre nicht das Publikum gewesen. Vielleicht zeigte sich hier die Kehrseite des ganzen Schauspiels von Behemoth. Dutzende Smartphones schnellen immer wieder in die Luft. Apathisch starren die Besucher auf ihre Screens, halten das Geschehen permanent in Bildern und Videos fest, verpassen aber doch die Magie des Moments. Es sind Aufnahmen für den digitalen Molloch.
Bevor nun jemand «Kulturpessimismus!» schreit: Es ist in Ordnung, kurz ein Video oder Foto für was auch immer zu schiessen. Wer aber über die Dauer mehrerer Songs sinnbefreit sein Handy für ein wackliges Etwas in hochhält, damit auch anderen Besuchern die Sicht stiehlt, brandmarkt sich selbst bloss als asozialer Ignorant.
Währenddessen spielt sich die Band die Seele aus dem Leib. Immer wieder fordern sie das Publikum auf. Doch es ist einer dieser Abende, wo der Funke nicht springt. Aus welchen Gründen? Reine Spekulation. Wieder und wieder brandet die Stimmungsmache an der Teilnahmslosigkeit – nicht aller, aber vieler – ab. Je länger das Konzert dauert, desto frustrierter wirken die Musiker. «Unsere Freude ist, wenn wir eure Freude sehen», ruft Nergal mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Verzweiflung. Später weicht diese der reinen Provokation: Er streckt den Mittelfinger in die Gesichter, spuckt von der Bühne.
Die letzten Songs bieten sie tadellos dar, aber mit einer spürbaren Resignation. Wortlos verlassen sie die Bühne. Die Roadies verteilen die Plektrums und Setlisten.
Es ist die grosse Tragik des Abends: Eine perfekte Show mit viel Unterhaltungswert, mitreissend, gewaltig und epochal aufgemacht. Auf der anderen Seite eine mehrheitlich abwesende, begeisterungsresistente und Smartphone-obsessive Herde Blinder und Lahmer. Da hilft weder Jesus noch Tod noch Teufel.