Mario Batkovic, der Berner Akkordeonist, zieht im Kaufleuten Zürich alle Register seines Instruments und damit das Publikum in seinen Bann.
Mario Batkovic neigt den Kopf zu seinem Akkordeon. Er kneift die Augen zu Schlitzen zusammen, verzieht die Mundwinkel zu einem Grinsen, als wolle er Grimassen ins Publikum ziehen. Er vergisst alles um sich herum und vertieft sich komplett in seine Musik. Geistig schlägt er den Takt, rekapituliert die ersten Noten, lässt seine Finger über die Knöpfe gleiten und die richtige Position ertasten. Nun holt er Luft, schliesst die Augen ganz. Der erste Ton.
Ein Brummen, tief und abgehackt im Achteltakt. Wie ein gezupfter Bluesbass, der immer dieselbe Note spielt. Quatere heisst die Komposition. Batkovic kreiert den schnellen treibenden Rhythmus mit einer zitternden Linken und dem konsequenten Achtelschlag. Das hat etwas Mechanisches, Atemloses. Wie eine Dampfbahn, die unaufhaltsam bergab rollt.
Bach, Chanson, Film
Treibend, maschinell, das ist eine Seite von Batkovic. Seine vermutlich Atemberaubendste. Restrictus ist ein weiteres Beispiel dafür. Die Komposition ist allerdings vielseitiger, lebt das Tempo doch allein von der virtuosen Rechten, während die Linke durchaus mal eine träge Basslinie legen kann. So vermengen sich Bach-Reverenzen mit Chanson und Filmmusik.
All das kann man natürlich auf CD haben. Doch dann würde man einen lebendigen Batkovic verpassen, der auf der Bühne auf seinem Stuhl sitzt, nach jedem Stück mit seiner Wasserflasche dem Publikum zuprostet und dannn einen Schluck trinkt. Ab und zu gibt er lustige Kommentare zu den Kompositionen ab. Etwa dass die lateinischen Namen eigentlich deutschen Ursprung haben, dass er sie über Google Translate dann aber ins Lateinische übersetzt hat. Er habe allerdings keine Ahnung, ob die Übersetzungen stimmen.
Ein leichtfüssiger Kontrast
Seine Geschichten geben dem Klangerlebnis Charme und Leichtfüssigkeit als Kontrast zur oftmals eher schwermütigen, teils gar hochdramatischen Tonalität der Kompositionen. Doch noch wichtiger: Die Direktheit des Konzerts macht die unglaubliche Präzision seiner Phrasierung erst richtig glaubwürdig. Was auf Platte eine gute Komposition ist, wird auf der Bühne zum Meisterwerk.
Das hängt auch mit der Dynamik zusammen, die er seinem Instrument entlocken kann. Er lässt sein Akkordeon flüstern, er lässt es schreien, schnarchen oder hupen. Mal ist es Perkussionsinstrument, mal Orchester. Er kann das Publikum mit dem Volumen des Instruments regelrecht wegblasen, dann spielt er wieder so leise, dass man den Sitznachbarn atmen hören kann.
Modifikationen durch Improvisation
Und er modifiziert seine Kompositionen teils markant. Desiderii Patriae ist kaum wiederzuerkennen, wenn man es lediglich von der Platte kennt. Andere Nummern baut er aus oder verweilt in schönen Elementen. Er ist eben nicht nur Komponist und Interpret seines eigenen Materials. Der Berner ist ein Meister der Improvisation – und oftmals dienen seine eigenen Stücke lediglich als Grundlage.
Fragt man ihn vor dem Konzert nach einer Setlist, lacht er nur. Was er wann spielt, entscheidet Batkovic auf der Bühne. Wie lange er spielt ebenso. Das ist abhängig von der Stimmung, vom Publikum.
Im Kaufleuten spielt er über volle 90 Minuten hinweg. Das ist lange für einen, der nur einen Stuhl und ein Akkordeon hat, keine Loops, keine Effekte, keinen Gesang. Das Publikum dankts ihm nicht nur damit, dass es ihm an den Fingern hängt, sondern auch mit so viel Applaus, dass er zweimal für Zugaben zurück auf die Bühne kommt.