Verblendet von der Discokugel

Wenn man durch die Bässe der Clubs geweckt wird, das Gehirn langsam wieder aufwacht und die Probleme beginnen…

Er hat ihr nachgeschaut, aber eben nicht ihr, seiner Freundin, sondern der anderen, der vom Club, der er zugeprostet hat, der Blonden mit dem Longdrink in der Hand.

Jetzt stehen sie vor meinem Atelier, er und seine Freundin, und sprechen über die mit dem Longdrink. Ein Wortgefecht entsteht. Morgens um halb drei in der Altstadt, auf der anderen Seite des Clubs, wo sie die letzten paar Stunden zwischen den «Paarungswütigen» verbracht haben. Das ist meiner Meinung nach sowieso so eine Sache als Pärchen in den Club zu gehen, vor allem, wenn man die Single-Freunde des Freundes noch im Schlepptau hat.

Ist es nicht die wahre Liebe, fühlt sich der Freund oft mehr mit seinen trinkfreudigen Kumpels verbunden, als mit seiner Freundin. Da kommen alte Bilder hoch, wenn er die Ladys tanzen sieht und dabei sein Glas immer leerer und sein Kopf immer voller wird. Aber nun stehen sie ja draussen vor meinem Atelier und ich liege drinnen auf meiner Matratze, müde vom Malen, müde vom Wein.

«Du hast ihr zugeprostet! Ich habe es doch gesehen!» Dies ist das Argument, dass sie ihm nun gefühlt eine Stunde lang an den Kopf wirft, währendem ich mittlerweile meinen Kopf vom Kissen gehoben habe und meine Ohren auf Empfang stehen. Was passiert nun mit der Liebe zwischen den beiden? Ist sie überhabt da, war sie jemals da oder bloss Worte in den Liedern, die sie sich anhörte, während sie an ihn dachte?

Was kann man eigentlich Beziehung nennen? Sind das zwei, die gleichzeitig Lust haben auf Sex und beim Mac das Gleiche bestellen? Zwei, die sich die Kippe teilen und sich die Hand geben, wenn sie zusammen über die rote Ampel rennen? Irgendwie schon, aber das ist doch noch lange nicht alles.

Ich habe sie nun auch kennengelernt, die Liebe, die wahre Liebe, und mit ihr mein zweites Ich. Und ich merke, da geht es doch um viel mehr als gemeinsame Gelüste, es geht darum sich sicherer zu werden, wer man ist, war und sein kann. Darum das Lachen des anderen nicht für sich reservieren zu wollen, aus Angst es bald selbst nicht mehr sehen zu können. Vertrauen ist das Stichwort, ja, das Wort das manchmal sticht, mitten ins Herz, wie der Lisa vor meinem Atelier, die gerade daran zweifelt, ob sie es gegenüber ihrem Simon noch kann.

Aber um was für ein Können geht es da eigentlich, ich frage mich mehr, ob sie jemals lieben konnte, mal gefühlt hat, was Liebe bedeutet. Oder ob sie es als Liebe auf den ersten Blick gedeutet hat, damals als der Simon sie vielleicht sogar in diesem Club mit betrunkenen Augen angeschaut hatte und sein Blick immer tiefer ging. Doch was hat er dann in Gedanken berührt, wohl die tieferen Ebenen ihres Beckens. Ausführen muss ich das wohl nicht, dieses Kopfkino kennt jeder, doch um ihre Seele ging es hier sicherlich nicht.

Doch der Seelenfrieden, der Seelenverwandte, ist es doch, was wir wie wildgewordene Wühlmäuse suchen, wenn wir uns am Ende der Woche durch den viel zu vollen Club drängen. Antrainiert ist das «Partypeople-Lächeln» der «Schulter-und Drinks-schüttelnden Menschen» um uns herum. Ein beinahe unheimliches «Wir sind doch alle gleich und wollen das Gleiche»-Gefühl steigt im Club auf, gemischt mit den Moschusdüften der Männer und dem Veilchenduft der Frauen.

Diese Duftsymbiose rieche ich nun gerade auch, denn ich konnte nun nicht mehr schlafen, in meinem Gehirn rattert es nun wieder. Ich musste raus in den Club, streifte mir ein schwarzes «Röckchen» über, als Simon und Lisa plötzlich weg vom Fenster waren und ich gierig nach mehr Geschichten.

Wenn ich im schwitzenden Menschenmeer, alle zehn Minuten mal wieder eine etwas leerere Ecke im Club finde und zugleich einen klaren Gedanken, denke ich mir: Ja, ihr seid doch alle gleich, gleich verblendet, doch nicht von der Discokugel, sondern von den Augen deren um euch herum.

Unser Denken und Handeln sind geprägt durch Erfahrungen, die wir in unserem kulturellen Umfeld erleben. Diesen Satz haben wir in so manchem Lehrbuch mit dem Leuchtstift markiert, weil er uns wichtig erschien, doch nun nicht mehr ist.

Wenn man diesen Begriff googelt, findet man Leitmotive von Firmen, die sich etwa so anhören: «Unser Denken und Handeln ist geprägt von Ver­ant­wort­ungs­bewusstsein, Ehrlich­keit und Respekt.» Doch wo sind die Menschen, Mitstudenten, Mitarbeiter, Liebenden, die nach diesen Werten leben?

Ich wache aus meiner philosophischen Gedankenwelt wieder auf, als mir ein Typ auf den Fuss steht und ich eine kalte Bierflasche an meiner Schulter spüre. Ach, hier wird es mir zu eng. Ich drücke mich durch die Massen und suchte den Ausgang. Nun stehe ich in der kalten Nacht, der dumpfe Bass schallt durch die Gassen und ich finde mich zwischen den Rauchern wieder. Ein Sido-Verschnitt spricht mich an, streckt sein Gesicht gegen meines. Seine Schnapsfahne lässt mich meine Nase rümpfen und er meint: «Wieso sind hier alle so scheisse betrunken?»

Ich kann ihm diese Frage nicht beantworten, das muss wohl hier jeder für sich selbst tun. Ich vergrabe meine Hände in die Hosentaschen, ahme das Hinauspusten einer Rauchwolke nach, bleibe mit meinem Blick in den Sternen hängen und frage mich, ob die Mäntel der andern weiterhin gegen Ende der Woche in den Garderoben der Clubs hängen, oder ob sie hängen geblieben sind.