Seit Jahren sorgt der Fleischkonsum für rote Köpfe. Veganes Essen ist für die einen eine Mode, für andere eine Tier-Befreiungs-Bewegung, und für die dritten der Jungbrunnen. Und irgendwo zwischen den schreienden Skinny Bitches und verstörenden Tierquäl-Fotos ist die Vernunft verloren gegangen.
Ich dachte eigentlich, das Thema sei gegessen – wortwörtlich. In Zeiten von Abhörskandalen, Botox-Putin in der Ukraine und der Flüchtlingskatastrophe hätten wir Gescheiteres zu tun, als über das Pro und Contra fleischloser Ernährung zu reden. Aber dann brachte brachte der «Volksverpetzer» diesen Artikel, wo eine strenggläubige Veganerin mit Plattitüden und Klischees um sich haut. Diverse andere Zeitungen konterten mit einem Bericht, wonach Veggies betrunken gern mal Fleisch essen. Also ist es offenbar doch noch ein Thema.
Ich gestehe, dass ich auch auf diesen Zug aufgesprungen bin. Sogar zweimal. Massentierhaltung ist schrecklich. Eine fleischlose Agrarwirtschaft ernährt mehr Menschen pro Ackerfläche. Und wer neben einem Schlachthof steht und Kühe schreien hört, der kann danach entweder kein Fleisch mehr essen oder er muss sich in den Zynismus flüchten. Dumm nur, dass mein Magen nichts von diesem Idealismus und Mitgefühl hält.
Die beiden Male, in denen ich auf tierische Produkte verzichtet habe, ging es mir ziemlich schnell ziemlich dreckig. Magenbrennen, Übelkeit, Schwindel und diese liebliche Mischung aus Verstopfung und Durchfall – mein Körper wollte Fleisch, und er machte seinen Standpunkt mehr als deutlich. Wenn die Natur also der Ideologie die Keule des Realitätschecks auf den Kopf haut, ist es wohl angemessen, sich auf dieses veränderte Bild einzulassen. Die hehren Thesen der Veganer mit der Wirklichkeit in Verbindung zu bringen.
Man kann die Tiere leider nicht zu Tode streicheln
Nein, kann man nicht. Aber Kühe sind keine unsterblichen Kreaturen. Sie würden an Altersschwäche sterben. Daneben gäbe es die Möglichkeit, Tiere so stressfrei wie möglich zu schlachten. Mit einem gezielten Kopfschuss aus einem Gewehr mit Schalldämpfer, während sie auf der Weide stehen. Für die andern Mitglieder der Herde dürfte sich das in etwa so anfühlen, wie wenn bei uns Menschen einer aus der Clique mitten an der Party einen Herzinfarkt kriegt. Es ist tragisch, aber längst nicht so traumatisierend wie der Gang zum Schlachthof.
Der Mensch ist eigentlich ein Pflanzenfresser
Wie jeder Archäologe ausführen kann, ist das Fundbild aus der grauen Vorzeit der Menschheitsgeschichte bisweilen sehr lückenhaft. Was die prähistorischen Menschen genau gegessen haben, lässt sich heute nur in wenigen Fällen hieb- und stichfest belegen. Apfelgehäuse und der hypothetische Pouletknochen hatten vierzigtausend Jahre Zeit, zu verrotten.
Was man allerdings findet, deutet darauf hin, dass der frühe Mensch sehr wohl Fleisch gegessen hat. Zwar haben die Veganer recht, wenn sie betonen, dass Schwein, Kuh, Haifisch und Gorgonzola ursprünglich nicht in den menschlichen Nahrungskreislauf gehörten. Vor der Entwicklung komplexer Waffen wie Pfeilbogen waren wir zu langsam und zu schwach, um die grossen Tiere zu jagen, die sich mit Tempo, Hörnern und Krallen gegen uns wehren konnten. Aber wir haben Muscheln gesammelt. Schnecken gegessen. Und vermutlich tonnenweise Maden verputzt.
Aber das ignorieren Veganer ebenso wie die Fans der Paläo-Diäten. Doch nicht nur die Archäologie lehrt uns, dass der Mensch ein Fleisch-, bzw. Alles-Fresser ist. Sogar Vegan-Bibeln wie «Skinny Bitch» geben im letzten Kapitel etwas kleinlaut zu, dass es Nahrungsergänzungsmittel braucht, um bei veganer Ernährung dauerhaft gesund zu werden.
Fleisch ist ungesund
Das ist das Leben generell. Aber mal ernsthaft: Wenn die fleischlose Ernährung wirklich so signifikant gesünder wäre, dann würde man das doch sofort spüren oder sehen. Aber auch Veganer werden krank, kriegen Falten und sterben.
Es gibt Ersatzprodukte
Ja, die gibt es. Aber auch die sind nicht völlig unbedenklich. Viele Soja-Produkte enthalten Palmöl. Um Palmöl zu gewinnen, werden Regenwälder abgeholzt. Damit wird Lebensraum für Tiere und Ureinwohner zerstört. Das tropische Paradies wich der geplünderten Wüste, und die Bilder des Orang-Utans, der in einer dieser Holzfäll-Maschinen gehäutet wurde, gingen um die Welt. Soja-Rahm mag mir als Konsument ein gutes Gefühl geben, weil man dafür keine Kuh sexuell belästigen musste. Die ökologische Bilanz dieses Produkts aber ist eine Katastrophe. Wenn ich mir dann noch die strengen, tierfreundlichen Richtlinien vor Augen führe, an die sich ein Schweizer Milchproduzent halten muss, dann zweifle ich doch sehr daran, dass das Soja-Produkt die bessere Alternative ist.
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Zudem steckt in den Ersatzprodukten auch ohne Palmöl ein gutes Stück unnötiger Industrie. Pilze oder Hülsenfrüchte enthalten genug Eiweiss, um Fleisch oder Eier zumindest temporär zu ersetzen. Aber muss man die Pilze dafür in Wurstform pressen und mit Fleischgewürz verfeinern, damit der Konsument das Gefühl hat, immer noch eine normale Wurst zu essen? Impliziert nicht allein die Existenz dieser Produkte, dass der Verzicht auf tierisches Eiweiss eine Sackgasse ist?
Massentierhaltung ist ein ökologisches Desaster
Jep, aber muss es denn unbedingt Massentierhaltung sein? In letzter Zeit macht sich immer mehr die Erkenntnis breit, dass wir zu viel produzieren. Wir kaufen Fleisch, um es zu entsorgen, ohne nur die Packung aufgerissen zu haben. Mit Subventionen werden die Preise für Milchprodukte tief gehalten, während Butterberg und Milchsee auf Dimensionen anschwellen, die wir kaum abbauen können. Dies ist sicher zu einem Teil die Schuld der Konsumenten – wir wollen günstige Lebensmittel und wir wollen, dass die Schweiz nach wie vor Agrarflächen kultiviert. Also wächst der Milchsee und das Steak landet im Müll.
Weg von der Müllproduktion
Doch es gibt Alternativen. Beispielsweise Kuhteilen: bei diesem Anbieter wird das Tier erst geschlachtet, wenn alle Teile der Kuh verkauft sind. Auf diese Weise will man verhindern, dass das Tier stirbt, um dann im Mülleimer zu landen.
Das Bewusstsein um diese Verschwendung macht sich mehr und mehr breit. John Oliver prangerte es neulich in seiner Show an. Frankreich hat verboten, Lebensmittel zu entsorgen, wenn sie noch zu gebrauchen sind.
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Eine weitere Lösung liegt beim Endverbraucher. Wer täglich Fleisch essen will und ein begrenztes Budget hat, der ist auf günstige Produkte angewiesen. Günstiges Fleisch bedeutet tiefe Produktionskosten. Tiere werden in zu engem Raum gehalten, sie kriegen kein artgerechtes Futter und die Schlachtung verläuft wie am Fliessband. Ja, das ist Tierquälerei. Aber es gibt Alternativen. Wer je mit einem Demeter-Bauern gesprochen hat, der weiss, dass eine artgerechte Tierhaltung mit weitaus grösserem Aufwand einhergeht – und das schlägt sich auf den Preis nieder. Wenn ich wert darauf lege, dass mein Steak von einer glücklichen und gesunden Sau kommt, dann muss ich mehr dafür zahlen – und kann es mir vielleicht nur drei Mal die Woche leisten.
Was ohnehin gesünder sein soll. Wer sich von den ständig wechselnden Trends der Ernährung etwas distanziert und sich eigene Gedanken macht, der kommt meistens darauf, dass die Lösung im berühmten goldenen Mittelweg liegt. Die Dosis macht das Gift. Übertreiben ist meistens ungesund – egal in welche Richtung das Extreme geht. Demzufolge ist ständiger Fleischkonsum genauso schädlich wie eine streng vegane Ernährung. Die Tradition liefert sogar ein Modell für einen Mittelweg: Fleisch gibt’s am Sonntag, Fisch am Freitag. An den andern fünf Wochentagen wird der Bedarf an Eiweissen mit Hülsenfrüchten, Milchprodukten und Eiern gedeckt.
All diese Erkenntnisse sind nicht neu. Aber sie berühren die gläubigen Veganer genau so wenig wie die stolz bekennenden Fleischfresser. Vermutlich, weil es bei der Frage nach dem für und wieder schon längst nicht mehr um das Essen geht. Es geht um Glauben. Um das Gefühl, auf der «richtigen» Seite zu stehen. Und unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, zeigt uns die Geschichte folgendes:
Fanatismus mündet meistens im Desaster – egal, ob man gegen Fleisch, für Gott, gegen den Zionismus oder für den Bio-Käse ist. Strenger Glaube stellt das Gehirn ab. Wer glaubt, der denkt nicht mehr. Es ist genau das, was die Fleischfresser an den Veganen so nervt: Dieser aggressive Fanatismus. Und nicht die Küche.