«Die wertvollsten Autogramme sind im Safe»

Überall, wo die Stars und Sternchen und sogar die Cervelat-Prominenz auftritt, sind sie auch dabei – die Autogrammjäger. Das Zurich Film Festival bot das perfekte Revier für eine gute Jagd. Eine Reportage.

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Josh Hutcherson gibt ein Autogramm. (Foto: Matt Hoffmann)

Ein Gastbeitrag von Erik Hefti

Die Schutzfolie vom grünen Teppich auf dem Bellevue-Platz ist weggezogen worden. Die Scheinwerfer sind gerichtet. Das Licht ist perfekt. Musik, wie sie an Modeschauen gespielt wird, ertönt aus den Boxen. Die Stimmung ist trotz der Musik ganz leicht angespannt. Denn die Journalisten stehen im überdachtem Medienbereich hinter einer Abschrankung und warten auf die grossen Schauspieler vom Film Northmen –A Viking Saga, der an diesem Abend im «Corso» Premiere feiert. Alle Medien sind vertreten: Blick, Tages-Anzeiger, Joiz, Radio Energy. Das SRF hat sich sogar eine eigene kleine Stage gegönnt, um die grossen Namen vom Film-Business zu interviewen. Einige Personen mit einem Casual-Abendgarderoben-Look wuseln entweder auf dem Teppich oder stehen einfach nur ein bisschen rum und wirken, als ob sie diese Wichtigtuerei geniessen um auch ein bisschen Rampenlicht abzubekommen. Denn es scheint ja schon ein bisschen Licht von Hollywood auf Zürich hinüber. Schliesslich wird ja die zierliche Schönheit Cate Blanchett auf dem grünen Teppich erwartet.

Im Vergleich zu den angespannten Journalisten steht Handvoll Personen ziemlich gelassen und locker ebenfalls hinter der Abschrankung, alle bewaffnet mit einer A4-grossen Mappe. Darin befinden sich hochqualitative Hochglanzfotos von den erwarteten Gästen. Die Gruppe hat sich zuvorderst rechts, dort wo der Teppich beginnt und die Prominenz aus den Autos aussteigt, positioniert. So können sie die bekannten Gesichter gleich abfangen. Man kennt sich von anderen Anlässen und tauscht sich aus. Jetzt, am Zürcher Film Festival, sieht man sich sowieso fast täglich. Alle teilen die gleiche Leidenschaft: Autogramme sammeln. Kein Selfie oder ein Snapshot. Nein. Einfach eine Unterschrift auf Papier, das ist alles. Um eine Unterschrift zu ergattern, haben sie schon einiges angestellt. Sie haben unzählige Geschichten auf Lager.

Das kurze, aber intensive Gerangel

Diese taktische Positionierung am grünen Teppich ist gut überlegt. An vorherigen Tagen waren sie weiter weg vom Auto und auf der linke Seite. Heute wissen sie nach gesammelter Erfahrung: vorne rechts ist der beste Ort. Der Star hat hier noch die Energie und die Nerven, wenn er oder sie aus dem Auto steigt; kurz bevor das Blitzlichtgewitter beginnt und immer wieder die gleichen Fragen beantwortet werden müssen. Plötzlich geht alles ziemlich schnell. Das Auto fährt vor und heraus steigt die schöne Cate Blanchett, bekannt aus der Der Herr der Ringe-Trilogie, in militärgrünen Jackenkleid mit goldenem Reissverschluss. «Please, please Cate!», ruft einer der Gruppe der Filmschönheit zu. Sie gibt zuerst Georges A. Kern, IWC-Chef, die Hand (die beiden eröffneten die IWC-Gala am Zurich Film Festival) und dann, als hätte sie diesen Zuruf als einen Befehl verstanden, begibt sie sich zu den Autogrammsammlern und unterschreibt alles, was sie wollen. Plötzlich kommen unzählige Hände von hinten in mein Blickfeld, als würde ich von Zombies attackiert werden. Sie wollten gar nicht mich, sondern – «Geh weg, weg, weg!» – nur in der Nähe von Cate Blanchett sein.

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Von Selfies halten die Autogramm-Jäger nicht viel. (Foto: Matt Hoffmann)

Ein Gefühl der Einengung machte sich in meinem Körper bemerkbar. Fotolichter blitzten auf. Ich hatte gar nicht die Möglichkeit überhaupt zu meiner Tasche zu kommen, um die Kamera herauszuholen. Ich war mitten in einem Menschengerangel. Ich fühlte mich, als würde Cate gerade stagediven und ich würde nicht mitdiven, sondern wäre der, der gerade unter ihr war und nichts mehr als nur Hände und Arme sehen würde. Cate zog weiter und das Menschengerangel zog mit ihr. Nur die Autogrammsammler meinten «Thank you, you’re so kind!» und blieben stehen, ich auch. Denn ich musste kurz durchatmen. Das ganze Spektakel war so kurz und intensiv gewesen für die Autogrammsammler, dass sie zufrieden waren.

Ich dachte nur, dass ich nie im Leben ein Fan von diesem Hobby sein werde.

Das Entziffern von Hieroglyphen

«Na, das ist ja nicht einmal eine richtige Unterschrift.», meinte eine Autogrammsammlerin enttäuscht. Und wirklich, es sah mehr nach einer sanften Wellenlinie aus, wie wenn die Nadel eines Erdbeben-Messgeräts bekifft ganz langsame Eruptionen wahrnimmt. Das Erstaunliche war, dass die Linie auf jedem Foto oder Papier ganz anders aussah. «Mehr kann man nicht verlangen.», rechtfertigten die Jäger dieses Autogramm. Die Autogrammsammler nehmen aus ihren Mappen ihre bereits unterschriebenen Fotos heraus. Sie bestaunen und fachsimplen über ihre Beute von den letzten Tagen. Das Ganze erinnert an Ägyptologen, die sich in einer Tempelanlage befinden und mit leuchtenden Augen und einer Lupe in der Hand versuchen, Hieroglyphen an einer Wand zu deuten. So gelangen sie vielleicht an den sagenumwobenen Schatz. «Ja, schau hier, wir haben die gleiche Anzahl Kringel und Schnörkel und die zwei wilden Strichen hast du ja auch.», meint einer bei einem Vergleich von zwei Filmplakaten mit gesammelten Unterschriften. Ihr Schatz ist komplett geborgen worden.

«Eine spezielle Nähe, die nicht jeder erlebt hat»

Die Freude der Autogrammsammler ist förmlich zu spüren. Doch wie kommt man darauf, Unterschriften zu sammeln? «Früher habe ich Briefmarken gesammelt und durch einen Freund bin ich dazu gekommen. Es ist einfach ein spezielles Erlebnis jemanden in einem Film zu sehen und dann live zu erleben.» erklärt mir eine passionierte Autogrammsammlerin mit kurzem Grau-Haar-Schnitt. Sie macht das schon seit über 25 Jahren. Nicht nur von Filmstars, sondern auch von Bundesräten oder grossen Sportler besitzt sie Unterschriften. «Zuhause habe ich über 18 Bundesordner. Die wichtigsten und wertvollsten Autogramme befinden sich in einem Banksafe. Dort sind sie sicher.»

Für einen Sammler mit Drei-Tage-Bart ist so ein Anlass wie heute eine Schnittstelle zwischen Film und der realen Welt, die sich eröffnet. Er fügt hinzu, dass Selfies mit Männern kaum möglich seien: «Die männlichen Stars stellen sich immer nur zu den weiblichen, gut aussehenden und jungen Fans, sodass sie auch gut darin aussehen. Niemand will mit einem Bierbauch auf einem Foto drauf sein. Autogramme zu sammeln ist daher einfacher.»

Die Autogrammsammler sind fast schon eine Institution hier am grünen Teppich, denn sie werden immer wieder gefragt: „Auf wen warten man hier? Wer kommt noch?» – «David Hasselhoff, das ist meine Antwort bei solchen Fragen von Leuten, die sich überhaupt nicht interessieren und nur per Zufall hier sind und die Stars sehen wollen.», erklärt der Drei-Tage-Bärtige.

Mit Autogrammen Geld machen ist verpönt

«Schau dort sind die Händler, die sind schlimmer als die Papparazzi.» sagt der Bärtige und zeigt auf ein paar Leute, die auch Mappen haben und ziemlich gestresst aussehen. «Sie verkaufen alles über Ebay und versuchen es überall, ein Autogramm zu erobern. Sie sind ziemlich penetrant.». Zurzeit kostet auf den Handels-Plattformen im Internet ein Autogramm von Cate Blanchett 80 US-Dollar.

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Antonio Banderas bei den Jägerinnen und Sammlerinnen. (Foto: Matt Hoffmann)

Die Autogrammsammler halten zusammen, weil es ihr Hobby ist. Damit Geld zu machen ist für niemanden vorstellbar: «Meine ganze Sammlung würde ich niemals verkaufen, daran haften zu viele Erinnerungen. Ich habe so viel Herzblut darin investiert».

An der Gebäudeseite, wo sich das Kino Corso befindet, stehen ein paar hochklassige Wagen in einer Schlange: «Die meisten Promis schreiten nur für 30 Minuten über den Teppich, lassen sich abblitzen und interviewen, gehen zum Hintereingang und steigen wieder in die Auto um zurück zum Hotel zu fahren.»

Sie geben vollen Körpereinsatz

Es ist schon eine Kunst prominente Menschen um ein Autogramm zu bitten. Da finde ich, dass die Autogrammjäger sogar mehr geleistet haben als der Tages-Anzeiger. Sie haben es nämlich geschafft in absoluter Nähe von Blanchett zu sein. Eine Film ohne jeglichen Off-Text zu realisieren, das hätte auch der Autor von diesen Zeilen ermöglichen können. Aber Cate Blanchett einen Stift zu überreichen und dann noch einen indirekten Körperkontakt von der Hand, die das Papier hält, über den Stift, der gehalten wird von der hellen Schönheit, das muss man mal hinkriegen!

«Wir wurden auch schon freundlich vom Dolder Grand weggewiesen. Ich bin auch schon extra nach Berlin gereist. Dort gibt es mehr Promis.» erzählt der Bärtige. «Als John Travolta hier vor ein paar Jahren durch den Hintereingang gehen wollen, ist eine Freundin sogar auf ein Autodach mit einer Grease-Platte gestiegen. Das hat ihm imponiert und so bekam sie ein Autogramm.»

Die Autogrammsammler sind ein besonderes Völkchen, die alle Berufe und Gesellschaftsschichten vereinen. Sie planen schon, ob sie nach dem Teppich-Anlass noch zu einem Hotel gehen sollen und vielleicht so die fehlenden Unterschriften dort holen können.

Lockere Stars

«Letztes Jahr war Harrison Ford auf dem Teppich, das war schon ziemlich cool den Indiana Jones vor sich zu haben. Pierce Brosnan war auch ein Highlight für mich, den habe ich aber in Berlin getroffen.», erklärt mir ein anderer. An diesem Abend ist neben Cate Blanchett auch Anatole Taubman eine Person, von der man eine Unterschrift will. Northmen – A Viking Saga ist für das Schweizer Publik sehr interessant, weil der Schweizer Claudio Fäh darin Regie führt und Taubman als Bovarr einen Kriegssöldner spielt.

Ein Helikopter schwirrt etwa 100 Meter über dem Grünen Teppich, macht sogar Luftaufnahmen. Männer in Kampfkostümen vom Film Northmen postieren sich auf dem Teppich. Fackeln werden aufgestellt und die historische Filmmusik ertönt. Es dauert noch gut 15 Minuten bis Anatole Taubman auf dem Teppich auftritt. Er ist nimmt sich Zeit für alle und jeden. Als er bei den Autogrammsammlern vorbeikommt und zum Schreiben ansetzen will, bemerkt er: «Hey, dein Stift funktioniert nicht mehr, du musst dich besser vorbereiten.» Da zückt ein anderer bereits einen Stift und das Unterschreiben kann weitergehen. Die Jagd nach Autogrammen hat mit Taubman begonnen und geht jetzt weiter mit den anderen Schauspielern vom Film.

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Auch der bekannte Film-Komponist Hans Zimmer ist begehrt. (Foto: Matt Hoffmann)