Kann die «Blue Economy» die Welt nachhaltiger gestalten?

Bild: Nicola Tröhler

Prof. Dr. Gunter Pauli wurde schon «Steve Jobs der Nachhaltigkeit» genannt. Tatsächlich ist der belgische Wissenschaftler und Redner einer der bekanntesten Prediger nachhaltiger Wirtschaft. Aber kann die «Blue Economy» wirklich die Welt verändern?

September 2018 in Zermatt. Der Zermatt Summit findet gerade zum siebten Mal statt. Professor Gunter Pauli sitzt in der Lounge des Hotels Mont Cervin Palance, in der Hand ein Glas Wasser. Er sieht mit seinem weissen Bart und dem distinguierten Haarschnitt aus wie ei ein moderner Dandy. Ein simples Hemd, ein klassisches Jackett runden den Eindruck ab. Doch in den Augen glimmt ein Feuer. Der Belgier ist immer vorbereitet, immer bereit den Status Quo anzugreifen.

1994 wurde Pauli nach Japan eingeladen um das berühmte Kyoto Protokoll vorzubereiten. Doch sein grösster Einfluss war der Begriff der «Blue Economy». Er war der erste, der dieses Konzept in einem Buch präsentierte. Als sprachgewandter, charismatischer Mann wurde der 62-Jährige schnell zum Posterboy der Bewegung. Heute reist er permanent um den Globus, besucht Unternehmen und spricht auf Konferenzen als Kopf hinter der Zero Emissions Research and Initiatives (ZERI).

«Die grüne Wirtschaft ist etwas für die Reichen!»

«Wir wollen alle eine bessere Welt. Wir dachten, dass der Weg dorthin die grüne Wirtschaft ist», meint Pauli überzeugt, während er erklärt, weshalb dieser Ansatz nie für eine Mehrheit funktionieren wird. Grüne Unternehmen seien oft viel kleiner und hätten mehr Auflagen. Das resultiere dann in höheren Produktpreisen. «Wenn man eine grüne Wirtschaft haben will, muss man bereit sein, mehr zu bezahlen. Viel mehr. Das heisst, es ist etwas für die Reichen.» Nein, Professor Pauli redet nicht um den heissen Brei herum.

Pauli schlägt einen anderen Ansatz vor: «Die Blue Economy deckt Grundbedürfnisse mit dem, was vor Ort zur Verfügung steht. So generiert sie Jobs und Wertschöpfung», erklärt er. «Die erste Herausforderung ist, auf die Bedürfnisse der Menschen zu reagieren. Das macht man nicht mit Produkten aus anderen Teilen der Welt. Und der Fokus ist nicht, immer günstiger zu sein – was für grüne Unternehmen nie funktionierte –, sondern eine grössere Wertschöpfung zu erreichen.»

Sein Verständnis von Wertschöpfung ist einfach: Man baut mehrere Produktzyklen in ein Unternehmen ein. Er kann Stunden damit zubringen, über dieses Konzept zu sprechen, angereichert mit unzähligen Beispielen. Hier ist eines: «Wenn ich eine Tasse Kaffee habe und aus dem Abfall des Kaffees Pilze züchten kann und der Abfall der Pilze ist wiederum Nahrung für meine Hühner, habe ich bereits drei Cashflows. Alles geschieht lokal.» Es sei diese Art des Denkens, so Pauli, welches Blue Economy Unternehmen günstiger und abfallfrei mache. So würde auch mehr Geld in die Taschen aller fliessen.

«Wir müssen nicht zurückstecken!»

Die Blue Economy fokussiert auf die Grundbedürfnisse. «Wenn man über diese Bedürfnisse spricht – Nahrung, Wasser, Energie und Gesundheit –, müssen diese lokal produziert werden. Sie können mir nicht erzählen, einen biologischen Apfel aus Chile hier in Zermatt zu haben und zu sagen, das sei nachhaltig. Sorry, das stimmt einfach nicht. Das ist nicht so und wird nie so sein.»

Also ist die logische Konsequenz, dass die Gesellschaft den Konsum zurückstecken muss? «Nein, wir müssen nicht zurückstecken!», widerspricht Pauli dezidiert. «Wir müssen vor Ort eine viel grössere Vielfalt anbieten, die Spass macht und gesünder ist. Es funktioniert nicht, den Leuten zu sagen, sie sollen zurückstecken. Ich glaube nicht an Grenzen und Gesetze dafür. Wir müssen die Menschen inspirieren.»

«Wir wollen nicht reden. Wir wollen tun.» Bild: Nicola Tröhler

Er ist überzeugt, dass er die Menschen aufklären kann. Dass der lokal produzierte Apfel eine bessere Option ist als der importierte. Da stellt sich die Frage, weshalb nicht mehr Unternehmen sein Konzept umsetzen. Nun beugt sich Pauli leicht verärgert über den Tisch. «Ich mag diese Frage nicht mehr hören. Es gibt 5000 Unternehmen, die Pilze aus dem Abfall der Kaffeeproduktion züchten. Es gibt einige tausend Unternehmen, die aus dem Abfall von Zitrusfrüchten Reinigungsmittel herstellen.»

Also mangelt es den Blue Economy Firmen an Sichtbarkeit. «Wir sind nicht an Visibilität interessiert. Wir wollen nicht Zeit und Energie aufwenden, nur um gesehen zu werden», meint Pauli. Tue Gutes und sprich darüber – das ist nicht die Strategie. «Wir wollen nicht reden. Wir wollen tun.» Das mag vielleicht für die Unternehmer stimmen. Aber nicht für den unverblümten Professor Pauli.

Immerhin gibt er zu, dass es tatsächlich Kommunikation braucht. Aber nicht vom Unternehmen zum Kunden, sondern zu potentiellen Unternehmern. «Wir sind interessiert an Menschen, die etwas machen.» Die Tatsache, dass die Blue Economy Start-ups lokal verankert sind, mache sie viel leichter zugänglich und transparent. «So schafft man Vertrauen», erklärt Pauli. «Dass wir lokal arbeiten und lokale Bedürfnisse decken, schafft eine direkte Beziehung zwischen Produzenten und Konsumenten. Wir brauchen keine Zertifikate.»

Diese Labels stehen oft in der Kritik. Grosse Unternehmen missbrauchen sie um den Kunden vorzugaukeln, grün zu sein. «Greenwashing» nennt sich das dann. Die Zertifikate haben eine beschränkte Wirkung. Ein biologischer Apfel kann dennoch mithilfe von Kindern gepflückt worden sein. Gerade deshalb sollte es trotzdem im Interesse der Blue Economy sein, auch zu den Kunden zu kommunizieren.

«Können Menschen Spass an ihrer Arbeit haben?» Bild: Nicola Tröhler

Aber Gunter Pauli macht keine Kompromisse, was seine Ziele angeht. Andererseits ist er pragmatisch, wenn es darum geht, sie zu erreichen. Vermutlich ist er deshalb eine kontroverse Figur: Er arbeitet mit der chinesischen Regierung an verschiedenen Projekten. Etwa mit Schulen um herkömmliches Papier mit dem sogenannten Steinpapier zu ersetzen. Er schreibt auch Fabeln für die Kinder, die kreatives Denken vermitteln sollen. Machmal sei es schon der Fall, dass die Kommunistische Partei nicht erfreut sei. Bisher sei aber nur eine von 180 als schwierig angesehen worden und er habe dann halt eine Neue geschrieben, so Pauli.

Als er gefragt wird, ob es denn Gemeinsamkeiten zwischen den unzähligen Unternehmen gäbe, die er besucht hat, hat Pauli eine klare Antwort: «Ich denke, die wichtigste Komponente ist das Team. Es ist sehr oft eine kollaborative Atmosphäre. Ich halte das für essentiell. Können Menschen Spass an ihrer Arbeit haben?», fragte er rhetorisch. Pauli glaubt, dass es als CEO im Einzelbüro zu sein zwar gut fürs Ego sei, aber der Spass abhanden kommt. Dann fangen seine Augen wieder an zu glühen: «Wir wollen Leidenschaft und Spass ermöglichen. Wir wollen, dass unsere Initiativen die Welt verändern.»

  1. Danke fürs Artikel. Hervorragend geschrieben.

    Aber Bitte korrigieren Sie
    „Machmal sei es schon der Fall, dass die Kommunistische Partei nicht erfreut sei über die Botschaften und die eine oder andere Fabel verbietet, so Pauli.“

    Noch nie ist eine Fabel verboten worden! Nur eine aus 180 würde angesehen als zu schwierig zu fassen und dann habe ich eine Andere geschrieben.

    Danke!

    gunter

Kommentare sind geschlossen.