«Punk ist eine Emotion»

Dimitri Stapfer. Bild: zvg

Dimitri Stapfer hatte zwar nicht die Hauptrolle im Film «Lasst die Alten sterben», jedoch verkörperte er den wahren Punk der Story: Benno.

Ein Jahr nach dem Dreh und zeitgleich zum Kinostart plauderte Dimitri Stapfer mit Negative White über die «hütig Jugend», Punk, schauspielerisches Schaffen und sogar etwas über Politik, obwohl er eigentlich gar nicht so gerne öffentlich politisiert. Politik thematisiert er viel lieber auf der Bühne.

Mit Demut und Fun Figuren kneten

«Der Film gibt einen Ansporn zum Nachdenken über eine innere Politik.», antwortet Dimitri auf die Frage, was ihm besonders am Film gefallen habe. Dann aber erinnert er sich zudem an die Dreharbeiten, die er «schlichtweg de Hammer» fand. «Die Arbeit am Set war sehr speziell. Juri Steinhart hat keine Texte vorgegeben, sondern nur Emotionen. Ich habe es sehr genossen, mit Juri an der Figur Benno zu «kneten» und ihn gemeinsam zu formen.

Diese Art der «Demut vor dem Projekt», bei dem jeder einzelne – ob Schauspieler, Regisseur, Kameramann – willig seine Zahnradrolle erfüllt, gefällt mir besonders gut als Schaffensatmosphäre. Vor allem wenn dies bedeutet, dass man mit dem Kopf durch die Wand gehen und jemandem ans Bein pissen darf.»

[su_pullquote left_or_right=“left“]«Juri hat uns keinen Text vorgegeben, sondern nur Emotionen.»[/su_pullquote]

Ans Bein pissen?! Ja, Benno «bislet» in Lasst die Alten sterben einem Versicherungsvertreter wortwörtlich ans Bein. Und Dimitri hat dazu verraten: 

«Die Szene musste in einem Take im Kasten sein, weil es eine spontane Idee von mir war, die Juri direkt übernommen hatte – ganz ohne Ersatzhosen für den bepissten Herrn Versicherungsvertreter. Juri ist nämlich sehr entscheidungsfreudig und hat so immer wieder möglichst echte Reaktionen sichergestellt.»

Spoiling-Alarm

Wer den Film noch sehen will, sollte diesen Absatz besser überspringen.

«Benno ist eine Art Mentor», erklärt Dimitri auf die Frage hin, welche Funktion seine Rolle in Lasst die Alten sterben hat. «Der Punk Benno ist für Kevin die Manifestation all der Gefühle, die er in der alltäglichen Norm nicht rauslassen kann. Als Kevin sich dann von seinem «Ritalinmantel» befreit, taucht Benno auf und zeigt ihm, wie das mit dem Punk-Rauslassen geht – und wie gut das tut.»

«Benno ist eine Art Mentor»

Je häufiger aber Kevins Vater in der Geschichte auftaucht, umso weniger ist Benno zu sehen, bis er dann komplett von Altpunk abgelöst wird. «Christoph Gaugler und ich teilten uns sogar Shirt, Jacke und Hose», gesteht Dimitri. 

LdAs! Was steckt dahinter?

[su_pullquote left_or_right=“right“]«Riesenbabys sind ein Phänomen der aktuellen Zeit.»[/su_pullquote]

Lasst die Alten sterben wird schon im Trailer zum Film als Motto der sich um Kevin scharenden Punks proklamiert, als Kevins Vater darauf hinweist, dass Punks ein Anliegen haben müssten.

Dimitri Stapfer als Benno. Bild: Simon Huber/zvg

«Aber im Grunde ist es nur eine Provokation und ein Stellvertreter dafür, dass Freiräume Langeweile produzieren und die Jugendlichen sich im Optimierungswahn verlierend nach irgendwelchen Strohhalm-Anliegen greifen um nicht ganz im Social-Media-Meer zu ertrinken», so Stapfer. «Und gerade um darauf aufmerksam gemacht zu werden und nicht zu optimierungssüchtigen Riesenbabys zu verkommen, sollten junge Leute den Film unbedingt sehen.»

Jugend mit zwei Händen

An dieser Stelle des Interviews gab Dimitri Stapfer wohl eine seiner treffendsten Spontandarbietungen zum Besten.

[su_pullquote left_or_right=“right“]«Juri meint: Vielleicht fehlt uns was, um uns privat daran zu reiben.»[/su_pullquote]

Auf die Frage hin, ob er Steinharts Jugendskizze als treffend erachte, meinte er: «Jugendliche brauchen doch durchaus Reibungen, um weiterzukommen. Wenn auch die Reibung lediglich darin besteht dass es ihnen einerseits – an der linken Hand demonstriert – gut gehe, da kein Krieg, keine Hungersnot, keine Epidemien vorherrschen, und andererseits – an der rechten Hand demonstriert – schlecht gehe, weil da nichts ist, wogegen man seinen Kopf schlagen kann – ausser gegen die eigene Hand. Und genau dieses Bedürfnis nach Widerstand, Grenzertestung und die Plattformlosigkeit dazu komme in Lasst die Alten sterben absolut zum Ausdruck.»

Der Punk in dir

Hast du auch einen inneren Punk? Hier musste Dimitri kurz inne halten und in sich hinein hören. Einatmen. Ausatmen. Blick runter von der Galerie des Tibits Restaurant in die Menschenmasse. 

«Punk ist ja eine Emotion», beginnt er langsam. «Punk steht doch für ein Ausbruchsbegehren aus dem Gesellschaftskorsett, in das wir uns tagtäglich schnüren lassen. Ergo hat doch jeder wahrscheinlich einen inneren Punk. Ich aber habe das Glück, meinen Punk über das Schauspiel rauslassen zu können. Die Bühne ist mein Ventil.

Ob Punk tot ist oder nicht, ist eine andere Frage.

[su_pullquote left_or_right=“right“]Lass den Punk raus! [/su_pullquote]

«Sicherlich ist Punk heute nicht mehr so mit Politik verflochten, wie er das zu den 1980er-Krawallen war. Bedenkt man aber, dass Punk ursprünglich doch vielmehr als Gegen-(Politik)-Bewegung angedacht war, so existiert Punk – und auch dessen Notwendigkeit – durchaus immer noch. Indem man eben anders lebt, als das «grosse System» vorgibt, lebt man doch den Punk-Spirit in seiner reinsten Form.»

Punk kopiert man nicht!

«Konntest du dich mit der Rolle identifizieren? Das ist eine unsinnige Frage», findet Dimitri. «Das sollte doch immer so sein, wenn man sich einer Rolle annimmt. Man findet in jeder Figur etwas, womit man sich identifizieren kann; ob Sunny Boy, Depressiver, Räuber, Mörder oder eben Punk. Das gehört zur Arbeit eines Schauspielers dazu.»

[su_pullquote left_or_right=“right“]«Ich wollte keinen Punk kopieren, sondern aus mir heraus bilden.»[/su_pullquote]

«Ich hatte einen leichten Zugang zu Benno, da ich selbst bereits ein impulsives Naturell habe und das nur verstärken musste. Ich habe mich zwar sehr wohl auf die Rolle vorbereitet, indem ich mich intensiv mit Büchern, Dokus und Personen aus der (Schweizer) Punkszene auseinandergesetzt habe. Aber irgendwann hani denn gnueg Infos gha, zum de Benno vo inne use zläbe.»

Bühnenantrieb

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Der Punk auf Dimitris Handy. Bild: Simon Huber/zvg

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Dimitri Stapfer ist davon überzeugt, dass jeder Schauspieler einen Antrieb für die Bühne braucht.

[su_pullquote left_or_right=“left“]«Schauspiel ist mein Beitrag zur politischen Welt.»[/su_pullquote]

«Einerseits liebe ich es, für Kinder zu spielen. Mit Kindern kann man wunderbar das Leben feiern, da sie, sobald man mit ihnen in eine andere Welt taucht, allen Emotionen freien lauf lassen. Da wird gestrahlt, gestaunt, geschrien und gelacht und wenn es ihnen langweilig wird, dann kriegt man das nullkommanix zu spüren – man weiss immer, woran man ist. Die Erwachsenen zu gleichen intensiven Emotionsausbrüchen zu bringen, ist da schon etwas schwerer. Ich nehme in der aktuellen Gesellschaft eine Überforderung wahr, weil man von politischen Themen total überschwemmt wird. Ein Durchblick scheint aufgrund der sozialen Medien eher schwerer, denn leichter. Als Privatperson gebe ich ungern politische Statements in der Öffentlichkeit preis. Aber die Bühne ist mein Platz, um mich mit der Gesellschaftsproblematik und politischen Themen zu befassen – und andere hoffentlich zur persönlichen Auseinandersetzung damit anzuregen.»

Theaterkonsum ist sinnvoll

[su_pullquote left_or_right=“right“]«Theater funktioniert überall.»[/su_pullquote]

«Gibt es noch was zu sagen?» Nach langem und sinnhaltigem Geplauder über Lasst die Alten sterben, Punk, Schauspiel an sich und nicht zuletzt doch auch über Politik musste Dimitri Stapfer nochmals innehalten, um die letzte Frage des Interviews zu bedenken.

«Theater funktioniert überall», sagt der Benno-Darsteller. «Auf der Leinwand, auf einer Bühne, im Klassenzimmer oder am Lagerfeuer. Theater braucht nicht mehr als ein Thema. Theater ist ein Grundpfeiler der Gesellschaft und wird nie sterben», sinniert Dimitri. «Also geht Theater schauen. Vor allem die Jungen! Und – last but not least – Bleibt wach!»

Es ist nie zu wirklich zu Ende…

[su_pullquote left_or_right=“left“]«Mein Punk begleitet mich auf meinem Handy.»[/su_pullquote]

Nach dem Interview, das nun doch viel mehr Themen als LdAs! tangiert hatte, habe ich Dimitri auf der Treppe ins Freie noch gefragt, ob der Irokesenkamm aus dem Film echt war. Und da meinte er lachend: «Ja! Ich weiss gar nicht, wann ich das letzte Mal selber über meinen Haarschnitt bestimmen konnte!» Aber diese Fremdbestimmung scheint Dimitri Stapfer keineswegs zu stören, zumal er ja durch sein Handyhintergrundbild immer wieder an seinen inneren Punk erinnert wird. Das zeigt nämlich das eine Foto aus dem Film, auf dem er als Punk Benno einem Polizisten gegenübersteht. 

In diesem Sinne: Erkenne den Punk in dir und bleibe wach!

Dimitri Stapfer als Karl Moor kurz vor der Vorstellung «die Räuber» von Schiller. Bild: Dimitri Stapfer

Dimitri ist zudem aktuell noch folgend zu sehen:

«Die Räuber», Schauspiel von Friedrich Schiller: Theater St. Gallen

«Blind & Hässlich», Film von Tom Lass: aktuell in den Deutschen Kinos

«Familienpraxis», Film von Jeshua Dreyfus: 2018 in den Schweizer Kinos