The Great Invisible: Mehr als eine Doku

«The Great Invisible» stellt nur ansatzweise fest, was das Unglück im Golf von Mexiko für die Umwelt bedeutet. Viel mehr ist es sein Ziel, mittels Dialog die Gefühle, die die Menschen, die damit in Verbindung stehen, umtreiben, darzustellen.

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800 Millionen Liter Öl soll die Explosion der Ölförderstation Deepwater Horizon am 20. April 2010 und in den folgenden Tagen und Monaten ins Meer befördert haben, gerade mal ein Drittel davon ist laut Filmemacherin Margaret Brown bisher beseitigt worden. An der Gesetzeslage hat sich noch nichts verändert, obwohl die Ursache für die Katastrophe nicht in technischem Versagen gelegen hat. Die Regisseurin, die selbst aus Amerika stammt, nimmt in ihrem Film, der im März dieses Jahres Premiere feierte, die Menschen in die Pflicht; nicht nur die Verantwortlichen ganz oben, sondern den kleinsten Fischer und jeden, der auf der Bohrstation tätig war.

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Nur zwei Mal werden dem Zuschauer dabei Bilder gezeigt, die man normalerweise mit einem Unfall dieser Art verbinden würde; Pelikane, die den Schnabel kaum noch aufkriegen, weil sie so verklebt sind, und Pflanzen, die im Ölwasser stehen, und die einem klar machen, wie penetrant diese Verschmutzung ist und noch lange sein wird. Der Rest des Filmes zeigt die Protagonisten auf beiden Seiten: Fischerdörfer, in denen das Unglück bewirkt hat, dass ein kleiner, unscheinbarer Mann jeden Tag kiloweise Gratis-Essen an seine Nachbarn liefert, Angehörige von Mitarbeitern der Plattform, die das Unglück nicht überlebt haben und einen, der es doch überlebt hat, sich dafür aber am liebsten umbringen würde, und zuletzt den zynischen Verantwortlichen des Vergeltungs-Fonds. Doch nur wenig Spielzeit wird dafür verschwendet, diese tragischen Schicksale darzustellen; vielmehr bohrt Brown im wahrsten Sinne des Wortes tiefer. Und zeigt damit, wie sogar die Menschen, die so direkt betroffen sind, kaum imstande sind, etwas zu ändern; in erster Linie, weil sie es nicht wollen. Der kleine Essens-Lieferant zum Beispiel holt einen Anwalt ins Dorf, damit die Fischer und Shrimper endlich einmal jemandem, der versteht, worum es geht, ihr Leid beschreiben können. Keine Seele lässt sich bei dem Termin blicken.

[su_box title=“Disclaimer“ box_color=“#999″]Diese Rezension erschien in ähnlicher Form auch auf toasted.ch in Zusammenarbeit mit dem Zurich Film Festival 2014.[/su_box]

Die Einsicht des überlebenden Mechanikers, er habe ja gewusst, dass sie zu viele Risiken eingingen, und dass er sich jetzt schäme, für BP gearbeitet zu haben, kommt reichlich spät, der Vater eines der elf Opfer, die die Explosion forderte, gibt zu, seinen Sohn gut zugeredet zu haben, damit er den «prestigious job» schliesslich annahm, und dafür die Geburt seines zweiten Kindes nicht mehr erleben sollte. Zwischen diesen persönlichen Geschichten streut Margaret Brown Bilder von Konferenzen ein, an denen in gut-amerikanischer Manier zu Zigarren, gutem Essen und Alkohol pseudophilosophische Gespräche über das Öl geführt werden, und einer Führung durch die erste Off-Shore-Ölbohrstation Mr. Charlie für Kinder, bei der diskutiert wird, diese physikalischen und chemischen Erklärungen zur Entstehung des Öls seien doch etwas weit hergeholt, wahrscheinlich habe Gott es für uns in die Erde gespritzt.

Die Dekadenz und Widersprüchlichkeit der westlichen Welt zeigt die Filmemacherin in den einfachsten, für sich selbst sprechenden Bildern. All die Hoffnungslosigkeit und Tatenlosigkeit, unter der dieses Thema schon seit Langem leidet, kumuliert sich in der Tatsache, dass alle beteiligten Firmen nach der Bezahlung mehr oder weniger hoher Summen nun fröhlich weiter bohren; trotz der Risiken, und trotz geradezu lachhaft ungenügender Notfallpläne. BP war an der Produktion der Dokumentation leider nicht beteiligt; nachdem die Firma bereits nach der Explosion der Deepwater Horizon die Verantwortung nicht wirklich auf sich nahm, ist sie auch jetzt, vier Jahre später, nicht um eine Erfahrung reicher, sondern um ein bisschen Geld und elf läppische Mitarbeiter ärmer; was in diesen Verhältnissen schlicht und einfach nicht interessiert.

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