Das Schloss neben dem die Armen wohnen

Bild: Marc Schmidt/zvg

«The Florida Project» nimmt uns mit auf eine Reise an einen Ort, an dem für die einen Kindheitsträume wahr werden, während die anderen ums Überleben kämpfen. Ein US-amerikanisches Filmdrama mit Tiefgang, das lange nachhallt. 

Schauplatz Florida, Orlando, unmittelbar neben dem Vergnügungspark Magic Kingdom, Teil des Walt Disney World Ressorts. Sonnenschein, Gift Shops und Touristenmeilen. Eine trügerische Idylle. Abseits des Vergnügungsareals herrscht Armut und ein täglicher Kampf gegen die Verzweiflung und für die nächste Monatsmiete.

Die 6-jährige Moonee (Brooklynn Prince) wohnt mit ihrer Mutter Halley (Bria Vinaite) in einem Motel unmittelbar neben Park, da sie sich keine Wohnung leisten können. Während das vorlaute aber liebenswerte Mädchen mit ihrem Freund Scooty (Christopher Rivera) und dem Nachbarsmädchen Jancey (Valeria Cotto) umherstreift und sich den Tag vertreibt, schaut Halley im Motelzimmer fern und raucht. 

Das Leben aus Kinderaugen

Die neuste Produktion von Regisseur Sean Baker folgt keiner strengen Dramaturgie, sondern skizziert in losen Filmaufnahmen das gesellschaftliche Leben einer Subkultur, die ihr Leben unter dem Existenzminimum bestreiten muss. Die Geschichte wird dabei aus Sicht der 6-jährigen Moonee erzählt, was die besondere Qualität des Filmes ausmacht.

Durch die Kinder-Perspektive wird man hin- und hergerissen. Bild: zvg

Durch die Kinder-Perspektive entsteht für die Zuschauer*innen die unangenehme Situation, dass sie hin- und hergerissen sind zwischen den zwei Polen der Hoffnungslosigkeit der Mutter und der kindlichen Unschuld der Hauptdarstellerin. Kurz gesagt: Man kann nicht wegschauen, sich dem bedrückenden Gefühl nicht entziehen, auch wenn es manchmal sehr unangenehm wird.

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Tag für Tag nimmt uns der Regisseur – häufig wählt er dafür Totale – mit auf die Entdeckungsreise der Kinder durch ihren Alltag, der aus Wettspucken, Betteln und ziellosem Umherstreifen besteht. Dass ihre Mutter mit ihr an der Armutsgrenze lebt, scheint Moonee nicht vollständig realisiert zu haben. Sie verkauft zusammen mit ihrer Mutter Parfüms an Touristen (die sie zuvor im Grosshandel gekauft haben), Essen gibt es dank einer wohltätigen Kirchenorganisation und der Mutter von Scooty, die in einem Imbiss arbeitet und regelmässig Waffeln mit Ahornsirup durch die Hintertüre abgibt. 

Ein starker Willem Defoe als Motelmanager

Der Regisseur versteht es, Perspektivlosigkeit mit feinem Bleistift zu skizzieren und das eigentlich Unmissverständliche zwischen den Zeilen und in den Köpfen der Zuschauer*innen abzuspielen zu lassen. Nur einmal wird er in seiner Filmsprache ein wenig expliziter – als Moonee ihrem Freund Scooty erklärt, dass ein bestimmter Baum ihr Lieblingsbaum sei, «weil er umgestürzt ist und trotzdem weiter wächst».

Willem Dafoe wurde für einen Oscar als besten Nebendarsteller nominiert. Bild: zvg

Sean Baker ist der erste Regisseur, der einen Kinofilm ausschliesslich mit iPhones drehte (Tangerine L.A., 2015).  Für The Florida Project besann er sich wieder für das übliche Filmformat (35mm) und konzentriert sich vor allem auf die Farben und eine nüchterne Erzählweise. Die hellen, farbenfrohen Aufnahmen beissen sich mit der bitteren Realität der Motelbewohner*innen und der Handlung und trotzdem wirkt der Film an sich ästhetisch, vielleicht genau deshalb so verstörend.

Von Instagram zu Schauspielkarriere

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Ebenfalls interessant: Für den Film hat der Regisseur grösstenteils Laiendarsteller ausgewählt, die Darstellerin der Halley war zuvor eine Instagram-Unternehmerin. Nur beim Motelmanager hat sich Baker sich mit Willem Dafoe für ein bekanntes Gesicht entschieden (der für diese Rolle für einen Oscar nominiert wurde). Dafoe spielt überzeugend, man merkt wie er hin- und hergerrissen ist zwischen seiner Rolle als Autoritätsperson in der Motelanlage und seiner Empathie für die Situation der verzweifelten Mutter.

Mit seinem starken Drama gelingt Sean Baker ein unerwartet menschlicher Einblick in eine Randgruppe, der uns normalerweise verwehrt bleibt. The Florida Project hinterlässt einen traurigen Nachgeschmack, gewährt dafür aber Einblicke in Realitäten ausserhalb der Hollywood-Maschinerie.